Frühe Polizeifotografie : So schaut uns das Verbrechen an
- -Aktualisiert am
Sozialgeschichte in Bildern: Es ist ein ungewöhnlicher Zugang zur Nachkriegszeit, den eine Mannheimer Ausstellung von Polizeifotos über Unfälle und Verbrechen bietet.
„Ohne Einblick in die Polizeiarbeit ist das alles schwer zu verstehen.“ Der freundliche Uniformierte, der die Besucher in den ersten Stock des Mannheimer Polizeipräsidiums begleitet, ist skeptisch, was die Lesbarkeit der Bilder angeht, die etwas verloren vor seinem Dienstzimmer hängen. Dort wird ein kleiner Teil der Ausstellung „Spurensuche“ gezeigt, die sich mit Mannheimer Polizeifotografie zwischen den Jahren 1946 und 1971 beschäftigt. Den Löwenanteil, Hunderte irritierende Schwarzweißabzüge, findet man einige Straßenzüge weiter in den Reiss-Engelhorn-Museen, wo Kurator Thomas Schirmböck sagt, er möchte diese Bilder gerade nicht in polizeilichen Kontexten gezeigt wissen.
Natürlich sind das alles Rätselbilder. Die Themenblöcke der Ausstellung lauten nüchtern „Mobilität“, „Elendsquartiere 1946“, „Häuser, Straßen und Plätze“, „Tatwerkzeuge und Spuren“, „Nummern und Zeichen“, „Nacht“, „Zaungäste“, „Opfer“, „Räume“. Das ist ein gezieltes Understatement, hinter dem sich Objekte und Sichtweisen verbergen, die den Beobachter vor unauflösbare Aufgaben stellen. Der kriminalistische Titel, der den Wunsch nach Tataufklärung in sich trägt, ist insofern gut gewählt.
Erdrückende Alltäglichkeit
Denn „Spurensuche“ zeigt Polizeifotografien, die auf den ersten Blick oft banale Straßenszenen, Gebäudefassaden und Wohnräume dokumentieren. Die Alltäglichkeit ist so erdrückend, dass man schließlich alle Versuche auf Ausforschung der Pointe aufgibt. Das wahre Thema der Fotografien aber benennen die knappen Untertitel der Bilder. Sie konfrontieren die eigenwillige und spröde Ästhetik der Fotografien mit einem substantivischen Stakkato der Lyrik des Verbrechens: „Porsche Targa Mord“ oder „Parkbank Lustmord Mordversuch“.
Irgendetwas muss auf all diesen Bildern geschehen sein: Das ist das gruselige Versprechen, das dem Beobachter eine metaphysische Seite dieser Polizeifotografien offenbart. Mitten in die Alltagswelt hinein erfolgte ein Einbruch des Verbrechens oder einer anderen Katastrophe, die die Szenerie schlagartig zum Dokumentationsobjekt aufwerteten. Selten sieht man es direkt, etwa beim „Polizistenmord“, den diversen verunglückten Verkehrsmitteln - Autos, Schiffe, Straßenbahnen und einem Panzer - oder dem traurigen „Opfer einer Engelmacherin“, entblößte Beine in einer Baugrube. Oft fotografierten die Polizeifotografen nur die unveränderten Schauplätze von vergangenen Straftaten, bei denen die Bilder wahrheitswidrig zu behaupten scheinen, sie würden den Zustand im Moment der Tat festfrieren. Doch Unglücke und Verbrechen geschehen unangekündigt, und das Bild folgt erst danach.
Kriminaltechniker mit Spezialbildung
Bei den Polizeifotografen handelte es sich früher um Kriminaltechniker mit einer speziellen Fortbildung. Die Bilder wurden mit Platten- oder Mittelformatkameras aufgenommen, auf Barytpapier abgezogen und zeichnen sich durch hohe handwerkliche Qualität aus. Das änderte sich zu Beginn der siebziger Jahre, als man auf Plastikpapier umstellte. Deshalb nimmt die Ausstellung hier eine Zäsur vor und endet mitten in der Zeitgeschichte. Ein anderer Grund ist, dass Polizei und Kurator eine zeitliche Distanz zu Tätern, Opfern und Zeugen wünschten. So bleiben auch alle Datierungen im Ungefähren.