Elfenbein im Liebighaus : Weißes Gold auf dunklem Samt
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Die bislang nur aus wenigen Stücken bestehende Elfenbeinsammlung des Liebieghauses wird dadurch mit einem Schlag in die Oberklasse katapultiert und diese bürgerlich-mäzenatische „Entwicklungshilfe“ für das Museum wird als Hauptgrund angegeben, dass die Kollektion nicht an ein ohnehin schon umfängliches staatliches Haus gegeben wurde. Statt also zu größeren Teilen im Depot etwa eines Nationalmuseums zu verschwinden, werden die zweihundert Spitzenstücke der Sammlung nun im eigens dafür umgebauten Untergeschoss des Liebieghauses präsentiert. Die Werke sind dabei in den Vitrinen so weit wie möglich nach außen gerückt, um noch die winzigsten Details erkennen zu lassen.
Ein schwerelos schwebendes Netz aus Körpern
Das Extrembeispiel für den im elastischen Material Elfenbein umsetzbaren Detailreichtum bis in den Mikrobereich ist wohl ein nur etwa dreißig Zentimeter hoher barocker Altar aus einem längs geteilten Stück Stoßzahn, in das ein anonymer süditalienischer Schnitzer weit über hundert Figuren des Engelssturzes eingeschnitten hat. Die Besonderheit ist dabei, dass die Engelsscharen um den Erzengel Michael ihre Kontrahenten um den von Gott abgefallenen Luzifer nicht etwa vor einem festen Hintergrund mit ihren Flammenschwertern bekämpfen, sondern der gesamte Zahn innen ausgehöhlt ist und die ineinander verkeilten Engel außen ein schwerelos schwebendes Netz aus ihren Körpern bilden, indem ihre Arme, Waffen und Gewandzipfel jeweils die notwendig verbleibenden Stege zwischen den nur wenige Millimeter großen Figuren bilden.
Verständlicherweise ist die Schau um das unumstrittene Hauptstück der Sammlung gruppiert, die auf einer fast einen halben Meter großen Schindmähre über windbewegtes hohes Gras hinwegpreschende Rachegöttin, von der als Notname der sogenannte Furienmeister seinen berechtigten Titel trägt. Die Furie sollte allerdings nicht ablenken von anderen ebenfalls spektakulären, äußerst seltenen Werken wie etwa einem Relief mit der Darstellung der acht Haupttugenden eines anonymen Augsburger Elfenbeinschnitzers um 1670.
Alle dem Material Elfenbein abzulesenden Eigenschaften und Zuschreibungen sind in diesem Prunkrelief auf die Spitze getrieben: Caritas als Verkörperung der Liebe sitzt mit ihren beiden Kindern als einzige im Zentrum eines Innenraums, der durch die salomonische Weinlaubsäule am linken Rand als Petersdom in Rom angedeutet ist, während sie die übrigen sieben Tugenden umstehen. Die schneeweißen Schwanenhälse der Personifikationen jedoch schmückt bei allen edles Geschmeide, so dass der elfenbeinerne Teint jeweils durch den Kontrast mit dem Gold und den funkelnden Edelsteinen noch betont ist. Zudem trägt etwa die Temperantia als Göttin der Mäßigung links von der zentralen Caritas ein Mischgefäß zum Verdünnen des Weins aus purem Gold; Putten schweben von oben herab, um die makellose Verkörperung der mütterlich-vorbehaltlosen Liebe und ihre Gefährtinnen in ihrer Reinheit mit goldenen Lorbeerkränzen zu krönen. Wenn es ein gleichsam barockes Emblembild für die nun dauerhaft in Frankfurt zu bewundernde Sammlung an weißem Gold gäbe, so wäre es weniger die wilde Furie als vielmehr dieses barocke Relief aus Augsburg, das alle Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmale des Materials Elfenbein intuitiv verstehbar werden lässt.
White Wedding. Die Elfenbeinsammlung Reiner Winkler. Im Liebieghaus, Frankfurt am Main; „für immer“, wie der bei Hirmer erschienene Katalog für 34,90 Euro bereits auf dem Titel betont.