Genter Jan-van-Eyck-Ausstellung : Das menschliche Glotzen der Lämmer
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So darf man die Ausstellung im Genter MSK auf keinen Fall verpassen, weil man den Details des Altars nie wieder derart nahe kommen wird. Ein Drittel der Tafeln ist, sorgfältigst restauriert, nun im Museum ausgestellt, bevor sie von Oktober an für immer in einen Schneewittchensarg aus Panzerglas in der Chorscheitelkapelle der Kathedrale eingehaust werden - leider eben nicht im historisch korrekten Stifterchor, der Vijd-Kapelle, in der die von Van Eyck berechneten Lichtverhältnisse unmittelbar nachvollziehbar gewesen wären. Dann herrscht wieder Distanz zu den Dingen dieser zweiten Schöpfung.
Fingierter Marmor authentischer als echte Steinstatuen
Nun aber im Museum auf nur fünfzig Zentimeter Abstand lassen sich all diese durch die Restaurierung in der alten Farbpracht wiedergewonnenen Details und Anspielungen erkennen (wenn auch bei einer geschätzten Viertelmillion Besucher wohl nicht in Ruhe). Über die steinfarbigen Figuren von Johannes dem Täufer und Johannes Evangelist von der Altarrückseite ficht Van Eyck tatsächlich einen Wettstreit mit der Bildhauerei seiner Zeit aus; erstmals sieht man in den Faltentälern dieser fingierten Steinfiguren die feine blaugraue Äderung, die bei den Gewändern Marmor vorspiegelt, während die Gesichter und Architekturrahmen aus wieder anderem Steinmaterial bestehen.
Die in der Schau danebenstehenden Alabasterheiligen aus dem Frankfurter Liebieghaus verlieren bei aller Feinheit nicht etwa wegen ihres deutlich kleineren Maßstabs diesen sogenannten Paragone mit der Malerei Van Eycks; ihm gelingt vielmehr das doppelbödige Kunststück, die zwei Johannesfiguren auf der etwas rangniedrigeren ehemaligen Werktagsseite als Statuen in ihrer Vorgängerschaft zu historisieren, gleichzeitig aber als Individuen zu charakterisieren. Sie sind überzeitlich und gegenwärtig in einem. Der Stein wirkt nicht kalt, sondern strahlt sinnliche Körperwärme aus.
Und auch die Verkündigungsmaria über den beiden wird, obwohl in einem farblich reduzierten Steingewand, vom Licht des Engels Gabriel erwärmt. Neben ihr ist auf dem steingrauen Fenstergewände der helle Lichtabdruck zweier Schneußfenster zu sehen - die Muttergottes ist im Moment der Inkarnation eben nicht mehr allein, sondern zu zweit. Die Menschwerdung geschieht durch gemaltes Licht, das in den Raum und ihren Körper einfällt, und das theologisch Gott ist.
Ebenso sammelt sich auf der Spitze des roten Edelsteins im Ring beim „Bildnis eines Mannes mit blauem Chaperon“ wie in einem Brennpunkt das Licht, das auch auf den Rändern seiner topmodisch gekräuselten tiefblauen Kopfbedeckung spielt. Überhaupt die Porträts: Fünf von Van Eycks eigener Hand (er hatte selbstredend eine gut organisierte Werkstatt im nahen Brügge und viele Nachahmer) sind in Gent zu sehen. Durch die Massierung ist zu erkennen, dass dieser Maler der Lebensnähe bewusst für alle Porträts das wesentlich spannungsreichere Dreiviertelprofil und nicht das um 1430 noch üblichere Halbprofil wählte. Das „Bildnis eines Goldschmieds“ könnte auf einige Entfernung als Fotografie durchgehen, mit dem Unterschied, dass die Ölmalerei zu atmen scheint. Dass der sicher vermögende Mann „im Alter von fünfunddreißig Jahren“ ist, müsste die Inschrift auf dem Rahmen gar nicht geschwätzig verkünden.
Van Eycks Malerei verrät es schon, indem jeder der drei klar sichtbaren Halsstreifen für jeweils zehn Jahre steht und auch das Gesicht bereits manche Geschichte erzählt. Zwar ist Van Eyck heute nicht mehr der Erfinder der Ölmalerei - die existierte bereits -, er schaffte es aber durch Beimengung von Sikkativ-Trocknungsmitteln und Perfektionierung der Maltechnik, eine Tiefe zu erreichen, die formal wie inhaltlich bis heute das Maß aller Dinge geblieben ist.
Jan van Eyck - An Optical Revolution. Im Museum der Schönen Künste, Gent; bis zum 30. April. Der Katalog kostet 64,50 Euro.