Nationalmuseum von Qatar : Gewetterter Sand als Emblem einer Nation
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Blick auf das neue Nationalmuseum von Katar am Eröffnungstag. Es ist einer Wüstenrose nachempfunden. Bild: dpa
In Qatars Hauptstadt Doha, wo in drei Jahren die Fußball-WM stattfindet, eröffnet das erste Nationalmuseum des 21. Jahrhunderts – und stellt die Frage, ob man heute noch national bauen kann.
Manchmal sind an Mineralogie Interessierte ihren Mitmenschen voraus. Wer etwa am Wochenende den Bericht der „Tagesschau“ zum neu eröffneten Nationalmuseum des Emirats Qatar sah und ein Grundwissen an Mineralogie mitbrachte, konnte nur den Kopf schütteln. Kurzerhand wurde dort der vom französischen Architekten Jean Nouvel als Wüstenrose titulierte Riesenbau blumig als Pflanze, eben als Rose der Wüste, einsortiert. Nichts könnte falscher sein.

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Bereits ein Blick auf die fächerförmig nach allen Seiten ausladenden Lamellen zeigt an, welcher Metaphorik sich Nouvel hier bedient: der einer kristallinen Sand- oder Gipsrose. Diese bizarren Mineralgebilde, deren Lamellen sich durchstecken als hätten sich die Teller gleich mehrerer Star Trek-Raumschiffe ineinander verkeilt, entstehen durch kapillare Ausblühungen von Salzen wie Baryt unter dem Sand. In der tunesischen Wüste werden bis zu sechs Tonnen schwere Prachtexemplare dieser Barytrosen abgebaut, aber auch in den Sandlagern der hessischen Wetterau lassen sie sich finden. Mit dem blitzartigen Verdunsten von Wasser im heißen Sand und dem Auskristallisieren der darin gelösten Mineralien als Grundform eines Museumsbau im Wüstenstaat Qatar hat der Architekt eine packende Metapher gefunden. Über 250 Meter wächst nun ringförmig und kristallin in alle Richtungen ausgreifend eine Wüstenrose direkt an der Küstenstraße von Doha. In ein amorph durchstecktes Stahlgerüst hängt Nouvel Formteile aus Beton ein – letzten Endes auch nur zusammengebackener Sand. Um diese Transformation von Sand mittels Wasser zu verdeutlichen überzieht der Architekt die Haut der Betonlamellen mit einem wilden Krakelee, wobei er die dabei entstehenden Schattennuten bewusst nicht auspoliert und so in diesen ein bewegtes Oberflächenrelief grober Sandkörner sichtbar lässt. Zusammen mit der sandfarbenen Tönung des Betons, der zugleich das Meer vor ihm reflektiert, scheint der Museumskristall im Moment des Bestaunens aus dem Boden auszublühen, nicht ohne jederzeit in alle Richtungen weiterwachsen zu können.
Wenn es je möglich war, ein Museum für eine Nation und damit national zu bauen, scheint es heute ausgeschlossen, den einen gültigen Baustil oder Ausdruck für eine moderne Gesellschaft zu finden. An die Stelle von Nationalstil ist heute die Metapher getreten, die paradoxerweise global unmißverständlich lesbar und mit dem jeweils beauftragenden Staatsgebilde verknüpft sein soll: Le Corbusier errichtete für den 1947 unabhängig gewordenen indischen Staat die moderne Planstadt Chandigarh im Zeichen des Futur, Frank O. Gehry goss mit seinem Museum in der sterbenden baskischen Industrie- und Hafenstadt Bilbao den wirtschaftlichen Aufbruch und die radikale Transformation in das Bild gleißender Segel aus Titan. Nouvel nutzt für den erst 1971 gegründeten Staat Qatar die Metapher des Dynamischen, indem er eine sich scheinbar permanent wandelnde Sandburg entwirft, die in ihren Proportionen und der überbordenden Formvielfalt an keiner Stelle abzuschätzen ist und nach allen Seiten offen bleibt. In einer durch den Reichtum an Öl und Gas derart rasch wachsende Gesellschaft, die sich durch das absehbare Ende dieser Ressourcen massiv in eine Wissensgesellschaft umbaut, stieß seine dynamische Strukturmetapher sofort auf Gegenliebe, wie die Besuchermassen Einheimischer am Eröffnungswochenende erahnen lassen.
Eine nie abzuschließende Geschichtsschau
Dabei trumpft das Nationalmuseum trotz seiner 52.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche in zwölf großen Sälen nicht mit Größe oder Überwältigungseffekten auf – es versucht gar nicht erst, mit den monatlich neu in den Himmel schießenden Wolkenkratzern von Doha zu konkurrieren. Wo frühere Nationalmuseen durch kathedralhohe Treppenhäuser und Säle die Besucher einzuschüchtern versuchten, duckt sich dieses erste Museum einer Nation im 21. Jahrhundert geradezu ein und wirkt organisch, als Teil und Antwort auf die ursprüngliche Wüstenumgebung. Nur an wenigen Stellen überragt der Neubau den als Architektur-Spolie integrierten alten Königspalast von um 1900, in den man am Ende des Rundgangs von anderthalb Kilometern entlang aller Ausstellungsobjekte gelangt. Aus der Luft betrachtet wirkt der mehrfach durch kleine Anbauten erweiterte Palast in traditionell qatarischer Bauweise, der nach Auszug des Emirs von 1975 bis 1996 das ursprüngliche Nationalmuseum beherbergte, wie der Verschluss einer Schmuckkette aus unterschiedlich großen Wüstenrosenperlen; auf der Nordseite des Ringbaus gelegen leitet er die Besucher zum Beginn des Museumsrundlaufs zurück und steigert so die Dynamik der nie völlig abzuschließenden Geschichtsschau im Inneren des Baus. Seit 2011 vom deutschen Büro ZRS restauriert, bildet der Palast mit seinen feinen Stuckornamenten, den in der arabischen Baukultur obligatorischen Majili-Warteräumen für die Bittsteller und auch seinen Decken aus indischem Importholz selbst ein Ausstellungsstück der alten Kultur des Landes.
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Mehr erfahrenWenn schon die äußere Gestalt des Baus keine nationale Indienstnahme erlaubt, wie wird im Inneren die Geschichte der Qataris erzählt? Auch mit der Präsentation der Nationalgeschichte hat man ein französisches Kuratierungsbüro beauftragt, das etwas sehr Eigenes schafft, nach Vorgaben des Emirs und seiner Schwester Sheika Al Mayassa, die für alle Museen Qatars zuständig ist.
Jung, aber alt
Obwohl es sich bei Qatar um einen der jüngsten Staaten weltweit handelt, ist die Halbinsel seit der Steinzeit besiedelt, und dieses Leben in und mit der Wüste seit Jahrtausenden bis heute wird faszinierend präsentiert, ohne allzu große Genauigkeit in der Datierung der Stücke, die die Großerzählung untermalen sollen. Eine Besonderheit ist, dass das Museum nur ein originär altes qatarisches Objekt der Kunst zeigt: den drei Meter langen sogenannten Baroda-Teppich, den einst der gleichnamige Maharadscha mit sagenhaften eineinhalb Millionen Perlen für das Grab Mohammeds in Medina besticken ließ. Alles andere sind „Belege“, Ausgrabungsfunde und Gegenstände des Lebens in der Wüste, die in den jeweiligen Sälen von aufwendigen Künstlervideos hinterlegt werden, aus denen in der neunten Galerie „The Coming of Oil“ von Doug Aitken herausragt: Vor grünlackiertem Ölbohrinstrumentarium aus den Vierzigern splittern kaleidoskopartig Petroliumraffinerien in Irakkriegs-Giftgrün, altarabische Ornamente und die endlosen Leitungssysteme und Arterien für das Öl auf.
Der zwölfte und letzte Saal indes steht noch leer. Er soll in den nächsten Jahren mit der Darstellung des politischen Boykotts gegen Qatar durch Saudi-Arabien und Bahrein und dessen Auswirkungen gefüllt werden. Mit diesem Offenhalten des Ausgangs der eigenen Geschichte zeigt sich nur ein letztes Mal, mit welch sicherem Gespür Jean Nouvel der Dynamik einer Gesellschaft die passende und bleibende Form verliehen hat.