Weltausstellung in Berlin : Marktplatz der Beliebigkeiten
- -Aktualisiert am
Man bräuchte Tage für diese Reise: Die Berliner Nationalgalerie zeigt mit „Hello World“ eine Weltausstellung. Liegt es am politisch korrekten Postkolonialismus, dass sich ihr Sinn verschließt?
Wer schon immer eine Weltreise unternehmen wollte, aber nicht das Geld dazu hatte, kann dies in Berlin im Hamburger Bahnhof, dem Museum für zeitgenössische Kunst, für immer noch happige vierzehn Euro Eintritt nachholen. Für „Hello World“ wurden nun rund hundert Gemälde, Skulpturen, Installationen, Videos und Filme aus den eigenen Beständen der Nationalgalerie, ergänzt durch weitere zweihundert Leihgaben aus vor allem den ethnologischen und völkerkundlichen Sammlungen der Staatlichen Museen der Hauptstadt, gezeigt. Insgesamt ist die unglaubliche Anzahl von mehr als 250 Künstlern aller Kontinente (bis auf Australien) vertreten. Damit ist das erste Problem allein durch die schiere Menge angedeutet: Man braucht zwar nicht Wochen für diese Kunst-Weltreise, aber während eines normalen Museumsbesuchs ist diese Mammutschau nicht zu bewältigen.

Redakteur im Feuilleton.
Wenn die stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin, Christina Haak, bei der Eröffnung betonte, die Bestände der Berliner Sammlungen seien so zusammengebracht worden, „wie sie noch nie jemand gesehen oder betrachtet hat“, dann ist das unleugbar richtig, der Besucher weiß aber nach dem Gang durch Dutzende von Sälen auch, warum: Es ergibt einfach keinen Sinn. Kein roter Faden führt ihn ariadnehaft durch die Kontinente, es gibt keine Brücke von afrikanischer zu indonesischer Kunst, und eine gemeinsame Idee über ein sehr allgemeines „Menschen drücken sich in allen Teilen der Welt künstlerisch aus“ als gefürchtetste aller anthropologischen Konstanten hinaus gibt es schon gar nicht.
So ist es wiederum der derzeitige politisch korrekte Postkolonialismus, der brav Menschheitsuniversalien und unterschiedlichste Formen der Kunstproduktion nebeneinanderstellt und auch ja nichts vergessen darf, weil er doch niemandem weh tun will. Im Grunde erneuter Kolonialismus, da – wenn auch von vielfach aus den Herkunftsländern der Kunst stammenden Kuratoren, so doch von einem westlichen Museum – bestimmt wird, was wichtig ist.
Ungerecht bis unmöglich
Eine interkulturelle Verständigung der Kunst, wie sie die Ausstellung postuliert, existiert bislang nur auf einer westlich dominierten Plattform und Ebene der Moderne, die ja eben überwunden werden soll. Das Vorbild sollen und können die weit ausgreifenden letzten Documenta-Schauen sein, aber es wäre seltsam, wenn die Nationalgalerie nun der Kasseler Weltkunstausstellung Konkurrenz machen wollte durch eine ganzjährige statt nur alle fünf Jahre stattfindende staatliche Documenta.
Das dritte Grundproblem allerdings ist das gravierendste: Wer zu den „normalen“ Museumsgängern gehört und nicht Ethnologe ist, dem fehlen derzeit schlicht (noch) die Parameter für eine gerechte Bewertung all der gezeigten Werke von fast fünf Kontinenten. Gerne würde man – Wilhelm II. paraphrasierend – in der Ausstellung behaupten, dass man keine Deutschen, Inder oder Balinesen mehr kenne, sondern nur noch gute oder schlechte Künstler. Aber ein Blick in die Indien-Abteilung der Leistungsschau zeigt, dass dies ungerecht bis unmöglich ist: Da hängen aufregende Mischformen aus indischer Dekorverliebtheit und Ernst-Barlach-haftem Expressionismus der zwanziger Jahre, wenn etwa der indische Maler Satish Gujral horizontal gelagerte Körper ins Ornamental-Fließende auflöst oder Somnath Hore mit seinen tiefroten „Wounds 45“ von 1983 den indischen Beuys als Blut- und Wundenmaler gibt. Da hängt aber auch Aufregendes im Sinne von Ärgerlichem, wenn ein aquarelliges Mandala auch von einem hiesigen VHS-Yogakurs gebatikt sein könnte.
Hoch spannnend ist der Hinweis in der Ausstellung, dass der indische Vorzeigeintellektuelle, Dichter und Künstler Rabindranath Tagore einer der Betroffenen der Aktion „Entartete Kunst“ der Nationalsozialisten war, dessen Werke aus der Nationalgalerie entfernt wurden. Die Gegenüberstellung von Karikaturen Georg Grosz’ und Tagores hingegen wirkt mit der im Katalog behaupteten „Wiederkehr von Narrativen“ beliebig, weil das Medium der Karikatur naturgemäß allgemein lesbar sein muss.