Zum Tod von Will McBride : Von der ewigen Suche nach dem neuen Menschen
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Er war Chronist des Aufbruchs nach 1968 und sehnte sich doch nach Nestwärme. In der Biografie des großen amerikanischen Reportagefotografen Will McBride spiegelt sich das Sittenbild einer Epoche.
Will McBride sah nicht mehr gut aus. Das Gesicht eingefallen, die Haltung gebückt, den Körper stets auf einen Stock gestützt, war die Krankheit schon lange nicht mehr zu verbergen. Nur die Augen strahlten nach wie vor in hellem Gletscherblau. Aber das war biologisch begründet und ließ keine Rückschlüsse zu auf seine Ideen, seine Pläne – und schon gar nicht auf einen Glauben, wenigstens einige Arbeiten noch zu Ende zu führen. Sprach man mit ihm, klang er bisweilen verhärmt, und er klagte eher über die nicht umgesetzten Vorhaben, etwa sein Friedensdenkmal mit einem Dutzend nackter Jünglinge, als dass er sich mit seinem fotografischen Lebenswerk zufriedengegeben hätte. Er war ein Weltverbesserer, der alles Übel als persönliche Niederlage verstanden hat.
Und es hatte ja so gut begonnen: Mit zweiundzwanzig Jahren war er als amerikanischer Soldat nach Würzburg gekommen, und obwohl er kein Deutsch sprach, beschloss er nach Ende des Wehrdienstes zu bleiben. Deutschland: Das war für ihn das genaue Gegenteil seiner prüden, puritanischen Heimat. In der Aufbruchstimmung der Jugend fand er sein Zuhause – und über Jahrzehnte hinweg als Reportagefotograf sein Thema. Dabei blieb er wie kaum ein Zweiter mit seinen Bildern stets der eigenen Biographie verhaftet. Selbst seine Hochzeit, die Schwangerschaft seiner Frau Barbara und die Geburt seines Sohnes, später die Trennung von der Familie, als er sich zu seiner Homosexualität bekannte, und der neue Lebensentwurf mit einer Kommune auf seinem italienischen Bauernhof waren ihm Gelegenheiten, um das Wesen jener Epoche zwischen der Entdeckung von Jazz und Bluejeans und dem Ende der Hippie-Träume zu vermitteln.
Seine Bildgeschichten, vor allem erschienen in der Zeitschrift „Twen“, die für immer aufs engste mit seinem Namen verbunden bleibt – aber auch in „Look“, „Paris Match“ und „Life“, in der „Brigitte“, der „Quick“ und dem „Stern“ sowie in mehr als zwanzig Büchern – erzählen von einem neuen Lebensgefühl, von der Hoffnung auf jenen „neuen Menschen“, so der Titel einer seiner Reportagen, der die Parole „Make Love, Not War“ zur Maxime erhob. Ausgelassene Jugendliche auf Vespa-Rollern und während Partys am Ufer des Wannsees oder auf einem Boot oder die Darsteller der „Hair“-Aufführung in München, nackt in Pappkartons übereinandergestapelt: derlei Motive wurden zu Symbolbildern einer Jugend, die sich gegen die kleinbürgerliche Zufriedenheit der Adenauer-Ära auflehnte und schon bald in Drogenrausch und ausgelebter Sexualität die alten Lebensmuster sprengte.
Nur auf den ersten Blick erscheint es deshalb irrwitzig, das Will McBride in Amerika ausgerechnet bei dem Illustrator Norman Rockwell ein Kunststudium begonnen hatte – dem Maler süßlicher Kleinstadtszenen. Auf den zweiten Blick nämlich wird deutlich, wie sehr McBride vor dem Hintergrund der radikalen Veränderungen während der Zeit des Wirtschaftswunders von einer ähnlichen Sehnsucht getrieben war wie sein Lehrer. Es war der Wunsch nach Wohlbehagen, nach Nestwärme – nur dass McBride diesem Verlangen einen anderen Namen gab: Freiheit. Den Besuch Kennedys in Berlin setzte er denn auch in eine bis heute fesselnde Reportage um. Und doch hatte McBride wegen des Mauerbaus seinen Wohnort Berlin verlassen und für lange Jahre in der Boheme von München eine neue Heimat gesucht. Später zog er nach Frankfurt, wo ihm die Drogenszene und die Welt der Banken Motive für ein solch grimmiges Buch lieferten, das niemand es verlegen wollte.
Vor einigen Jahren ging er zurück nach Berlin. Fotografiert hat er schon lange nicht mehr. Stattdessen konzentrierte er sich ganz auf seine Malerei. Jetzt ist Will McBride im Alter von vierundachtzig Jahren gestorben.