Jacke und Brille hätte der Direktor bestimmt gerne in die Designabteilung aufgenommen: Gerhard Bott führt Andy Warhol 1971 durch das Hessische Landesmuseum in Darmstadt. Bild: Werner Kumpf
Gerhard Bott gestorben : Reformer alter Schule
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Von Hanau über Frankfurt, Darmstadt und Köln nach Nürnberg: Mit Gerhard Bott ist ein Hauptakteur der Museumsexpansion der Nachkriegszeit gestorben. Sein Leben lässt noch einmal darüber staunen, welche Chancen die Flakhelfergeneration nutzen konnte.
Als Gerhard Bott im Mai 1975 die Urkunde für fünfundzwanzigjährige treue Dienste in den hessischen Museen entgegennahm, sah sich sein Dienstherr genötigt, vor den Festgästen einen Tadel auszusprechen – nicht für den Direktor des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt, sondern für dessen Verbündete in der Presse. Auf die pointiert in der F.A.Z. vorgetragene Beschwerde über den niedrigen Ankaufsetat des Landesmuseums, der gerade einmal für eine bessere Picasso-Grafik im Jahr reiche, antwortete Kultusminister Hans Krollmann mit der Verlesung der Liste der Erwerbungen in den fünfzehn Jahren von Botts Darmstädter Amtszeit. Aber die Namen Corinth, Klee und Liebermann bewiesen nur, wie klug Bott gewirtschaftet hatte; den Ruf eines kulturpolitischen Herrn Knauserig wurde der Minister mit seinen Verrechenkunststücken nicht los. Dass der Stellenaufwuchs von 38 auf 52 in anderthalb Jahrzehnten als unzureichend bewertet wurde, nannte Krollmann eine „bewusste bösartige Verzerrung“. Botts Leistung ermisst man daran, dass er in dieser Zeit die Besucherzahl von 60 000 im Jahr auf das Vierfache steigerte.
Den zusammengewürfelten Charakter der ursprünglich landgräflichen Sammlungen nutzte Bott für ein Universalmuseum neuen Stils, das unter Einbeziehung von Design, Architektur und auch Film Kuratoren und Besucher zu neugieriger Kombinatorik einlud. Vitrinen vom Fußboden bis zur Decke weckten die Erinnerung an Schaufenster. Die Triebe des Jugendstils schlugen in Darmstadt dank Botts Pflege sozusagen ein zweites Mal aus. In Amsterdam kaufte er die Sammlung des Juweliers K. A. Citroen; zeitgenössische Schmuckdesigner hatten in Bott einen enthusiastischen Förderer. Geld der Fritz-Thyssen-Stiftung beschaffte Bott für das Projekt der Erschließung der Kunstzeitschriften der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert, bei dem ein Wunderding der Gegenwart zum Einsatz kam: die Elektronische Datenverarbeitung. Die naturkundlichen und die Natur nachbildenden Objekte ermöglichten reizvolle Ausblicke, als sich 1968 die Chance ergab, die mit der Hilfe von Kunstberatern sozusagen strategisch zusammengewürfelte Sammlung des Darmstädter Fabrikanten Karl Ströher mit repräsentativen Werken der Pop-Art und einer Kollektion von Mirabilien von Joseph Beuys aufzunehmen. Als Kustos wirkte Götz Adriani an Botts Seite, der spätere Direktor der Tübinger Kunsthalle.
Andy Warhol und Mitglieder seiner Factory besuchten 1971 das Landesmuseum. Eduard Beaucamp, der langjährige Kunstredakteur der F.A.Z., war Augenzeuge und schilderte die Szene fünfzig Jahre später, im Beuys-Jahr 2021: „Ich erinnere mich noch an den Moment, als er zum ersten Mal die Objekte aus dem Block Beuys wahrnahm: die grauen Filzobjekte und die Filzstapel, die franziskanischen, vielfach auch ekligen Stillleben, die verkommenen Speisereste, die toten Ratten, die angebissenen Talgklumpen, die fettdurchtränkten Papierstöße usw. Warhol zuckte für einen Moment zusammen. Er war durch und durch Ästhet, ganz etepetete, er lief mit Handschuhen herum. Was er hier sah, muss ihm als Ausgeburt von Alt-Europa erschienen sein!“ Ein Kleinod aus dem älteren beziehungsweise jüngeren Europa, das Selbstbildnis Domenichinos, gefiel Warhol so gut, dass er Bott einen Tausch mit eigenen Werken vorschlug. Dazu hat Bott wohl keine Eingabe in Wiesbaden gemacht.