Kochkunst-Ausstellung : Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
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Zehn Sterne der deutschen Küchengeschichte: Barbara Siebeck (3. von rechts) mit Kollegen bei der Eröffnung der Online-Ausstellung Bild: dpa
Die Vernissage zur Online-Ausstellung „Wolfram Siebeck & das Deutsche Küchenwunder“ in Dresden läutet die Aktivitäten einer großen Kulinarik-Forschungsstätte ein.
„Zehn Jahre lang stand ich wie unter Drogen“, erinnert sich Lothar Eiermann, wenn er vom Beginn der Nouvelle Cuisine in den siebziger Jahren in Deutschland spricht. „Ich war berauscht davon“, fährt der Altmeister fort, „täglich mit einer großen Platte frischer Fische vor den Gast hinzutreten und ihm ein Abendessen zu empfehlen. Wir boten an, was der Markt gerade an feinsten Sachen hergab.“
Vorbei waren die Zeiten, als man in vornehmen teuren Restaurants klassische Gerichte aus der Escoffier-Schule wie „Chateaubriand“ servierte, als das Rinderfilet womöglich durchgebraten war, umlegt mit verkochtem Gemüse, das nicht selten aus der Dose stammte. Die neuen Zauberworte lauteten: frische Küche des Marktes, genaueres Garen, das den Eigengeschmack der Dinge hervorhebt, freieres Komponieren der Rezepte. Es handelte sich um eine sanfte Revolution in der Hochgastronomie, um eine Revolte gegen die Banalität des Essens industrieller Prägung, während zur selben Zeit Hippies die Flower-Power-Bewegung in Gang setzten, aufs Land zogen, Kommunen gründeten, Gemüse anbauten und Handwerk betrieben.
Lehre der Gastlichkeit und inspirierten Kochkunst
Mehrere Kulinarik-Altmeister von damals waren jetzt zur Eröffnung der Online-Ausstellung „Wolfram Siebeck & das Deutsche Küchenwunder“ nach Dresden eingeladen, neben Eiermann auch die ehemalige Münchner Riege, allen voran Eckart Witzigmann, begleitet von Dieter Biesler, Otto Koch, Heinz Winkler und Hans-Peter Wodarz. Anwesend waren auch Franz Keller, Herbert Schönberner und Wolfgang Staudenmeier. Andere wie Henry Levy oder Dieter Müller bedauerten, nicht kommen zu können. Weibliche Küchenstars gab es seinerzeit noch nicht. Die einzige Frau, die sich beim Gruppenfoto zwischen den Männern behauptete, war Barbara Siebeck, die Gattin und ständige Begleiterin des 2016 gestorbenen Gastronomiekritikers und Feuilletonisten Wolfram Siebeck, der das Seine dazu beitrug, dass die Nouvelle Cuisine in den Siebzigern hierzulande Furore machte.
Wie aber kommt es dazu, dass eine Ausstellung, die die Umwälzung der Hochküche in der westdeutschen Nachkriegszeit dokumentiert, ausgerechnet in Dresden eröffnet wird, das damals hinter dem Eisernen Vorhang lag? Mehrere glückliche Umstände fügten sich zusammen. Die Vernissage, die die Eröffnung der Online-Schau begleitete, rekapitulierte die Chronologie der Entwicklung, die die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, kurz SLUB – zu einem erwachenden Zentrum gastrosophischer Forschung in Deutschland gemacht hat, in enger Zusammenarbeit mit der TU Dresden. Die Eröffnung der Ausstellung sollte nicht zuletzt auch darauf hinweisen.
Für einen neuen Aufschwung des gastrosophischen Denkens
Julia Meyer, stellvertretende Generaldirektorin der SLUB, begrüßte die Gäste und stellte die bemerkenswerte Geschichte der kulinarisch-gastrosophischen Literatur des Hauses vor. Schon unter den sächsischen Kurfürsten und Königen war bei Hofe die Tradition der Kochkunst und Esskultur gefördert worden. Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gehörte zum literarischen Kreis um König Johann neben Ludwig Tieck und Carl Gustav Carus auch Karl Friedrich von Rumohr, der 1822 in Dresden sein berühmtes Werk „Geist der Kochkunst“ verfasste – kein bloßes Kochbuch mit Rezepten, sondern eine Gastrosophie, eine Lehre der Gastlichkeit und inspirierten Kochkunst, die eine leichte, feine und gesunde Ernährung im Sinn hat, bereits mediterran beeinflusst.
Daran erinnerte sich Walter Putz, der nach 1945 aus Schlesien über das zerstörte Dresden in den Westen flüchtete. Er wurde Oberkellner in „Brenners Parkhotel“ in Baden-Baden und sammelte Literatur zur Geschichte der Gastronomie – nicht nur Bücher, sondern auch Handschriften und Zeitschriften, vom sechzehnten bis zum zwanzigsten Jahrhundert. 2005 schenkte er diesen wertvollen Bestand der SLUB, weil er empfand, dass Dresden der richtige Ort dafür sei und die Stadt einen neuen Aufschwung des gastrosophischen Denkens erleben sollte.