Bill Viola wird 70 : Videofenster in die Renaissance
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Bill Viola 2016 in London Bild: Picture-Alliance
Heulender Wind, tosendes Wasser, flackerndes Feuer: Dem Künstler Bill Viola zum siebzigsten Geburtstag.
Meist erbringen Vergleiche lebender Künstler mit längst verstorbenen keinen Erkenntnisgewinn. Bei dem 1951 geborenen amerikanischen Videokünstler Bill Viola verhält es sich anders. Ihn darf man mit Fug und Recht den „Pontormo der Videokunst“ nennen, nicht nur weil Viola den Florentiner Manieristen in seinen wichtigsten Arbeiten direkt zitiert hat, sondern weil der Vergleich auch anachronistisch in die entgegengesetzte Richtung funktioniert: Pontormo war der „Viola der Hochrenaissance“. Bei beiden haben die meist in geometrischen Kompositionen arrangierten Figuren keinen Schatten und agieren filmisch mit hochartifiziellen Gesten vor dunkel ungegliederten Hintergründen.
Nicht zufällig spielt etwa die „Grablegung“ Pontormos schon in „La Ricotta“ von Pier Paolo Pasolini eine Hauptrolle, weil der italienische Regisseur diese in seinem Film 1963 als Tableau vivant minutiös nachstellen lässt, was krachend scheitert. Auch Bill Viola zitiert 1995 in seinem Video „The Greeting“ ein Bild Pontormos wörtlich: Es ist dessen „Heimsuchung“, das Aufeinandertreffen der schwangeren Muttergottes und ihrer ebenfalls schwangeren Schwägerin Elisabeth, wobei beide simultan die Leibesfrucht der anderen erspüren und segnen.
Und obwohl die in leuchtendes Orange gekleidete „Maria“ bei Viola einen Türkisring trägt und einen Jutebeutel umhat und „Elisabeth“ in ihrem safrangelben Kleid mit übergeworfener roter Stola auch eine in der Hippiezeit hängengebliebene Südkalifornierin sein könnte - Viola gab später als Auslöser für sein Video eine Straßenszene in Kalifornien mit drei Frauen im Gespräch an -, erkennt man trotz vertauschter Farben sofort die „Heimsuchung“ Pontormos als Vorbild. Während aber bei dem Manieristen zwei Frauen im Hintergrund die Menschwerdung Christi bezeugen, spitzt Viola Pontormos Bild mit nur noch einer Zeugin auf eine pyramidale Komposition zu und überzeichnet die Grellheit der Farben und Gesten zusätzlich.
Heulender Wind, tosendes Wasser
Oft schneidet moderne Kunst im direkten Vergleich mit alter nicht gut ab. Als sich aber im Jahr 2017 in der Palazzo-Strozzi-Schau „Bill Viola - Rinascimento elettronico“ die beiden „Heimsuchungs“Werke gegenüberstanden, zeigte sich fast jeder Besucher von der Zeitlosigkeit der manieristischen Videokunst Violas berührt, die hier die Quintessenz der Florentiner Hochrenaissance so in die Jetztzeit überführt hatte, dass es alle etwas anging. Wenig verwunderlich, war der dreiundzwanzigjährige Viola doch 1974 nach Florenz gezogen und hatte dort die prägenden zwei Jahre seines Künstlerlebens verbracht. Auch Violas „Nantes Triptych“ von 1992 spitzt auf drei lebensgroßen Videowänden Werden und Vergehen des Menschen derart zu, dass es auch die großen Meister der Renaissance nicht eindringlicher vermocht hätten. Selbst in Violas Arbeit für Eon in Düsseldorf nimmt ein Diptychon der Renaissance die Hauptrolle ein, indem es das Bild im klassischen Goldenen Schnitt proportioniert, den Blick in die Landschaft des kalifornischen Owens Valley leitend. Die Arbeit kondensiert eine weitere Qualität Violas - stets werden die durch hochkarätige Schauspieler verbildlichten Emotionen von durch die Videos tobenden Elementen parallelisiert: heulender Wind, tosendes Wasser, flackerndes Feuer, knirschende Erde.
Zeitgleich mit seinem heutigen siebzigsten Geburtstag öffnet im norwegischen Stavanger Art Museum die große Retrospektive „Bill Viola: Into the Light“ anlässlich des Jubeltags. Der Künstler wird nicht anwesend sein, sich aber über die renaissancehafte Elementenkunst am kalt windumtosten Rand Europas von seinem Wohnort aus im isothermen Kalifornien freuen.