https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/ukrainischer-kunstoligarch-was-macht-eigentlich-victor-pinchuk-12808503.html

Ukrainischer Kunstoligarch : Was macht eigentlich Victor Pinchuk?

  • -Aktualisiert am

Der ukrainische Oligarch fördert mit Kunst die Freiheit und Demokratie. Jetzt, wo sein Land um sie kämpft, fordert er weiche Kompromisse. Zieht er im Hintergrund die Fäden?

          5 Min.

          Dreizehn Minuten läuft man vom Majdan-Platz, dem Zentrum des Protests in Kiew, zum Pinchuk Art Centre, dem Museum für Gegenwartskunst des Oligarchen Victor Pinchuk, Jahrgang 1960. Für die Dinge, für die sich Pinchuk mit seiner Kunst einsetzt, demonstrieren auch die Menschen auf dem Platz: Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Demokratie. Allerdings lokal und konkret, nicht global und abstrakt wie etwa in einer von Pinchuks jüngsten Ausstellungen mit Werken des chinesischen Künstlers und Dissidenten Ai Weiwei. Ein eigenartiges Knirschen fühlt man angesichts dieser Kombination: Für China fordert man in Kiew Gerechtigkeit. Was ist mit der Ukraine? Pinchuk war, bevor er sich für Kunst interessierte, nicht gerade dafür bekannt, Werte des Oppositionskünstlers zu vertreten. Hat ihn die Kunst wirklich geläutert?

          Der Kunstsammler muss mittlerweile als die internationalste Stimme des ukrainischen Kulturbetriebs gelten: Furore machte er mit seinem „Future Generation Art Prize“, dessen Finalisten seit 2009 auf der Kunst-Biennale von Venedig präsentiert werden. Er ist mit 100 000 Dollar dotiert. Bewerben können sich Künstler, die nicht älter als 35 Jahre sind.

          Er kaufte Kunst - und den Kunstbetrieb dazu

          Um sich maximaler Aufmerksamkeit zu versichern, ernannte Pinchuk das „Who’s who“ der weltweit teuersten Künstler zu „Patron Artists“ des Preises: Andreas Gursky, Damien Hirst, Jeff Koons und Takashi Murakami.

          Und mehr noch: Pinchuk setzte damit nicht nur einen neuen Preis in die Welt, sondern erfand auch ein neues System. Er kaufte Kunst - und den Kunstbetrieb dazu. Zum Generaldirektor des Pinchuk Art Center ernannte er Eckhard Schneider, der bis 2008 das Kunsthaus Bregenz geleitet hatte. In die Jury des „Future Generation Art Prize“ berief er die Spitzen des musealen Kunstbetriebs, darunter etwa Richard Armstrong, den Direktor der New Yorker Solomon R. Guggenheim Foundation and Museum, Glenn D. Lowry, den Direktor des Museum of Modern Art, oder Alfred Pacquement, den Direktor des Musée national d’art moderne im Centre Georges Pompidou in Paris. Zahlreiche klamme Kuratoren von Kunstgroßereignissen tauchen ebenfalls befristet in der Jury auf, darunter etwa Carolyn Christov-Bakargiev, die Leiterin der Documenta 13, oder Massimiliano Gioni, Kurator der vergangenen Kunst-Biennale in Venedig.

          So professionell hatte noch kein Kunstsammler vor Pinchuk sich seinen Auftritt im Kunstbetrieb durchorganisieren lassen. Niemand verstand offenbar besser als er, dass der Kunstbetrieb sich nicht nur für Werke interessiert - sondern vor allem für Namen, Verbindungen und Institutionen. Es schien zugleich, als wollte Pinchuk sich nicht allein geprüfte Werte aneignen, sondern dabei helfen, dass welche entstehen. Sein Lieblingswort für dieses Ziel hieß ebendeshalb „Zukunft“, der Preis trägt den Namen im Titel. Veränderungen aus der großen weiten Welt wurden in Ausstellungen nach Kiew geholt. Jetzt aber verändern die Leute ihr Land selbst. Und was macht Pinchuk?

          Er hätte alle Möglichkeiten. Sein Vermögen wird von Forbes auf weit mehr als 2,3 Milliarden Euro geschätzt; er ist der zweitreichste Mann der Ukraine. Für die Kunst soll er bereits mindestens einen hohen dreistelligen Millionen-Betrag ausgegeben haben. Wie ist er zu seinem Vermögen gekommen? Als Ingenieur hatte er in den achtziger Jahren Techniken entwickelt, mit denen sich Rohre billiger herstellen ließen. 1990 gründete er die Interpipe-Gruppe und wurde mit der Produktion von Stahlrohren und Eisenbahnschienen in der ehemaligen Sowjetunion reich. Noch reicher soll ihn 2002 seine zweite Heirat mit der Tochter des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma gemacht haben.

          Kandidat des Lagers der Macht

          Von 1998 bis 2004 engagierte er sich tatsächlich in der Politik. Er war allerdings immer ein Kandidat des Lagers der Macht. Als der Erfolg ausblieb, stieg er aus und widmete sich dem Schönen, das ja irgendwie auch das Gute und Wahre sein soll. Seit ein paar Wochen kursieren nun vereinzelte Behauptungen, dass er die Demonstrationen auf dem Majdan finanziell unterstütze. Doch welche Richtung strebt ein Oligarch an, wenn er von Demokratie spricht? Fragt man nach bei Leuten, die mit ihm im Kunstbetrieb zusammenarbeiten, legt niemand für ihn die Hand ins Feuer.

          Vergangenen Oktober wurde der „Future Generation Art Prize“ noch einmal vorgestellt, dieses Mal in London. Der Ort war die Serpentine Gallery, die Gastgeber damit Julia Peyton-Jones und Hans Ulrich Obrist, die zusammen die Institution leiten. Die Euphorie war groß, wieder einmal wurde eine Flagge für die Werte der Kunst gehisst. In der Pressemitteilung hieß es: „Der Preis ist einzigartig wegen seiner globalen Reichweite und seiner hochdemokratischen Form - die Bewerbung findet über das Internet statt.“

          Kunst als Lockmittel für den Westen

          Der Philanthrop muss sich dringend fragen lassen, was die Ideen, die er in der Kunst fördert, ihm im eigenen Land gelten. Doch er schweigt. Im Dezember hörte man dazu von ihm nur sanft lobende Worte, als er der „Financial Times“ erzählte, es erfülle ihn mit „riesigem Optimismus“, dass auf dem Majdan „freie Bürger sich Meinungen bilden und sagen, was sie denken“. Als am Abend des 18. Februar Kiew brannte, rang er sich zu einem Statement gegen das Blutvergießen auf dem Majdan durch: "Eine friedliche Lösung muss gefunden werden. Es ist Zeit, dass alle gemeinsam einen Kompromiss finden." Seitdem schweigt er wieder. Auf die Anfrage dieser Zeitung hat er bis Redaktionsschluss dieses Artikels nicht reagiert.

          Es war das Jahr 2009, als ich ihn zum ersten und letzten Mal sah, auf einem repräsentativen Platz in Kiew, an dem gerade ein Laden von Armani eröffnet wurde. Die Aufkleber der Beschriftungen waren noch mit Folie verklebt, oben, hinter großen Fenstern und einem langen, sich um das Haus ziehenden Balkon wohnte er damals. Drei Jahre zuvor hatte er sein eigenes Museum eröffnet und damit begonnen, die westliche Kunstwelt in die Hauptstadt zu lotsen. Lockmittel waren in meinem Fall ein Konzert von Kraftwerk und Einblick hinter diese sonst verschlossenen Kulissen.

          Das Urteil seiner Kunst

          Dort saß er nun, in seinen Gemächern mit schönen Frauen, zwischen Mustern des - damals noch ukrainischen - Impressionismus. Lange würde der sich nicht mehr an den Wänden halten; im Museum sah man schon Andreas Gursky und die Videokunstsammlung von Julia Stoschek. Man muss im Fall von Pinchuk die Kunst sprechen lassen. Was zeigt Pinchuk gerade, der Stadt, dem Land, der Welt?

          Auf der Internetseite des Museums kann man sich die aktuelle Ausstellung ansehen: Es ist die erste Einzelschau des Belgiers Jan Fabre in Osteuropa. In „Tribute to Belgian Congo“ geht es um die brutale Sklavenhaltung und Ermordung von Millionen Kongolesen und die Plünderung aller Bodenschätze im Land. Fabre zeigt, so heißt es im Text, „die Markenlogos und Produkte von Firmen, welche die Schrecken im Namen des Profits organisierten, der für die belgischen Industriellen des späten 19. Jahrhunderts ihr ganzer Stolz war“.

          Das Kapital der Kunst

          Geld, Stolz, Schrecken, Ausbeutung und Unterdrückung - so viel Kritik passt in ein Museum, man erfährt von schrecklichen Dingen, „die geschehen, wo Menschen den Halt im Leben verlieren“. Es ist zwar nicht Victor Pinchuk, der die Ausstellungen kuratiert, es ist der Direktor Eckhard Schneider. Importierte Kritik also. Und vielleicht tut Pinchuk, wenn er für die Kunst zahlt und schweigt, das Beste, was er tun kann. Aber es ist dann eben, gemessen an dem, was geschieht und nötig wäre, doch erstaunlich wenig.

          Denn die Kunst, die er zeigt, und die Kunstmenschen, die er importiert, wirken in der Rückschau ganz blass und unbeholfen - wie sie damals einen Tag später auf dem Gelände seines Anwesens vor den Toren Kiews herumstolzierten - in der japanischen Kunstlandschaft, mit japanischen Brücken, japanischen Seen mit japanischen Koi-Karpfen.

          Der Fall Pinchuk zeigt: Im Kunstbetrieb sind Begriffe wie „Freiheit“ und „Demokratie“ ein wichtiges Kapital. Auch Victor Pinchuk hat sich und seine Institution damit geschmückt. Jetzt, da die wirkliche Welt außerhalb des Museums danach verlangt, ist eine beunruhigende Stille in Kiews weltweit berühmteste Kulturstätte eingekehrt.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Drei Jahre nach dem Lockdown : Was wir aus Corona gelernt haben

          Vor drei Jahren ging Deutschland zum ersten Mal in den Lockdown. Die Pandemie hat das Land verändert – nicht immer nur zum Schlechten. Was bleibt, was haben wir gelernt? Acht Menschen geben Antworten.
          Hinter der Industriellenfamile Reimann stecken viele bekannte Marken. Und doch ist der Wert des Firmenkonglomerats 2022 erheblich gesunken.

          Deutscher Milliardärsclan : Das Reimann-Imperium bröckelt

          JAB, die Holding einer der reichsten Familien des Landes, machte 2022 fast 4,5 Milliarden Euro Verlust. Das Management wendet sich nun an die Investoren und verspricht Besserung.
          Bluthochdruck ist nicht immer spürbar. Regelmäßiges Messen - beim Arzt oder zuhause - gibt Sicherheit darüber, wie es um den Blutdruck steht.

          Conn-Syndrom : Die unerkannte Ursache für Bluthochdruck

          Jeder dritte Deutsche leidet an Bluthochdruck. Auslöser muss nicht zwingend eine ungesunde Lebensweise sein. Häufig liegt eine hormonelle Störung vor, ohne dass die Betroffenen es wissen.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.