Theaterfotografin Ruth Walz : Gesichter aus der Tiefe der Zeit
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Ruth Walz hat das Theater in seiner besten Zeit mit der Kamera begleitet. Viele Jahre dokumentierte sie die Arbeit der Berliner Schaubühne, heute fotografiert sie Inszenierungen in ganz Europa. Eine Ausstellung zeigt ihr Lebenswerk.
Auf den ersten Blick könnten sich Theater und Fotografie nicht fremder sein. Das eine bringt die Zeit zum Fließen, die andere bringt sie zum Stehen. Das eine ist auf Vergänglichkeit, die andere ist auf Dauer gestellt. Wer versuchen wollte, einen Theaterabend aus Einzelfotos zu rekonstruieren, würde die Erfahrung des Gerichtsmediziners machen: Der Körper wäre vollständig, aber das Leben darin erloschen. Kein Bild brächte die Energie der Szene zurück. Und keine Geste, kein Requisit die innere Bewegung des Dramas.
Trotzdem haben die Kunst der Bühne und die des Fotoapparats zusammengefunden. Dabei blieb die Fotografie immer an ihre Aufgabe gebunden, das Theatergeschehen zu dokumentieren, sei es für Werbeaushänge oder als Zeitungsillustration. Der Theaterfotograf war ein Reporter, kein Rezensent. Aber schon die ersten besseren Vertreter der Profession schufen ihren eigenen Stil. Ein Bühnenfoto von Ludwig Gutmann sieht anders aus als eines von Ursula Richter. Der zeichnerisch geschulte Blick von Abisag Tüllmann schlägt auch in ihren Theaterbildern durch. Es hat einige Zeit gedauert, mehr als ein Jahrhundert, bis die Fotografiehistoriker diese Art der Kunstbeobachtung als eigene Kunstform begriffen haben. Doch jetzt ist es soweit.
Die Ausstellung ist selbst ein Schauspiel
Schon am Eingang zur Werkschau der Fotografin Ruth Walz im Berliner Museum für Fotografie sieht man, dass hier eine besondere Form des Bildermachens gefeiert wird. Die Tür ist ein Vorhang, die Schmalseiten des Museumssaals sind mit wandhohen Schauspielerporträts und Ansichten einzelner Aufführungen dekoriert. Die Exponate sind nicht chronologisch, sondern nach Themen und Stichworten geordnet. Die Ausstellung selbst ist eine Inszenierung ihrer Bestände, ein Schauspiel der Fotokunst. Auf dieser Bilderbühne erscheint das Theater in seiner besten Zeit.
Ruth Walz ist sechsundzwanzig, alleinerziehende Mutter und Studentin am Berliner Lette-Verein, als sie bei einem Gastspiel von Giorgio Strehler ihr erstes Theaterfoto macht. Neun Jahre später, 1976, wird sie festangestellte Fotografin der Schaubühne am Halleschen Ufer. Die ältesten Aufnahmen in der Ausstellung zeigen Ansichten von Klaus Michael Grübers Hölderlin-Projekt im Olympiastadion. Man spürt die Kälte und Leere des riesigen dunklen Raums und die ekstatische Stimmung, die darin herrscht. Und die Kamera ist überall, auf der Tribüne, unter den Schauspielern auf dem Rasen und vor der Schale mit der olympischen Flamme. Das Durchhaltevermögen von Ruth Walz ist in der Branche legendär. Nach den Proben und Premieren zog sie sich, während die Schauspieler in die Kneipe gingen, ins Labor zurück und entwickelte bis zum Morgengrauen ihre Bilder. Noch heute, mit achtzig, fotografiert sie drei- oder vierstündige Operninszenierungen im Stehen, ohne zu ermüden.
Dabei nimmt sie, anders als viele frühere und heutige Kollegen, durchweg die Perspektive des Zuschauers ein. In ihren wilden Jahren wollte die Schaubühne die unsichtbare Wand zwischen Theater und Publikum einreißen. Der Impuls erlosch mit dem Umzug an den Lehniner Platz, aber bei Ruth Walz wurde er zur fotografischen Haltung. Eine ihrer ikonischen Aufnahmen stammt von 1978. Sie zeigt das Bühnenbild von Karl-Ernst Herrmann zu Botho Strauß’ „Trilogie des Wiedersehens“. Der Schauplatz ist ein Wohnzimmer, das von zwölf Personen in unterschiedlichen Posen bevölkert wird. Um das Geschehen als Ganzes einzufangen, hat sich die Fotografin im oberen Teil des Parketts postiert. Indem sie die Köpfe des Publikums in den Vordergrund rückt, erzeugt sie zugleich perspektivische Distanz und ästhetische Nähe. Das Theater und die, zu denen es spricht, kommen in ein Bild.