https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/so-koennte-ein-new-deal-fuer-die-kunst-aussehen-16741975.html

Kulturpolitik nach Corona : Wie könnte ein New Deal für die Kunst aussehen?

  • -Aktualisiert am

Die Krise bietet die Chance, Kunst und Bürger wieder in ein lebendigeres Verhältnis zu bringen. Wie könnte eine nachhaltige Förderung für eine Kunst aussehen, die weniger vom Markt abhängig ist? Maximal dezentral müsste sie sein, maximale Vielfalt müsste sie fördern und maximale Autonomie – ohne Künstler in die Beliebigkeit zu entlassen. Sieben Vorschläge, die auch schon vor der Krise Sinn ergeben hätten:

1. Künstler bezahlen
Kaum ein Berufsstand wird so erfolgreich heruntergehandelt wie Künstler, die sich meist durch Nebeneinkünfte selbst subventionieren. Vielen wäre schon geholfen, würden Ausstellungshonorare zur Pflicht, wie seit einigen Jahren in Berlins kommunalen Galerien.

2. Mehrwertsteuer senken
Es ist absurd: Seit einigen Jahren werden zwar Hotelübernachtungen so günstig besteuert wie Bücher und in Kürze auch Restaurantbesuche. Aber für Kunstverkäufe gilt seit 2014 der erhöhte Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent. Alle Galerien ächzen unter dem Wettbewerbsnachteil, dem, wer kann, durch Verkäufe im Ausland entgeht. Dabei ist bei einem Jahresgesamtumsatz von knapp 600 Millionen im deutschen Kunsthandel weit weniger zu holen, als viele glauben.

3. Kunst sammeln
Nachhaltige Kunstförderung stützt nicht Künstler, sondern die ganze Produktionskette – und damit die Beziehungen, in denen Kunst entsteht. Zuletzt hat der Staat vor dem Kunstmarkt mit seinen entfesselten Preissteigerungskurven kapituliert. Mit bescheidensten Ankaufsetats hat der Staat faktisch aufgehört, Kunstgeschichte zu schreiben. Und sich in die Abhängigkeit von privaten Künstlern, Galerien und Sammlern begeben. Der Rückzug des Mäzens Friedrich Christian Flick aus dem Hamburger Bahnhof führt das schmerzhaft vor Augen. Dabei sind Ankäufe die nachhaltigste Form der Kunstförderung: Sie erreichen die Galerie, die Künstler durch Investitionen aufgebaut hat, die Künstler, deren Mitarbeiter und Zuarbeiter und die Rahmenbauer. Vor allem aber versetzen Ankäufe Staat und Bürger in die Lage, die Kunst der Gegenwart für die Zukunft abzubilden statt nur deren Markt, Kunst als gesamtgesellschaftliches Projekt zu begreifen und an den Preissteigerungen, die staatliche Ausstellungen befördern, selbst teilzuhaben.

Das Team des Berliner Projektraums Savvy Contemporary im Jahr 2016
Das Team des Berliner Projektraums Savvy Contemporary im Jahr 2016 : Bild: Hannes Wiedemann

4. Arbeitsräume sichern
Auch vor dem Immobilienmarkt hat der Staat zuletzt kapituliert. Mit der Folge, dass unschätzbare Investitionen an Privatinvestoren fallen, wie die gemeinschaftlich betriebene Ateliergemeinschaft Uferstudios in Berlin an die Samwer-Brüder. Hätte das Land Berlin mitgeboten, hätte es sich viele andere Förderinstrumente sparen können. Um zu vermeiden, dass Künstlerförderung direkt an Vermieter fließt, müssen Städte und Länder Immobilien sichern.

5. Stipendien
Anders als in den dreißiger Jahren ist künstlerische Arbeit heute oft nicht mehr werkförmig und damit auch nicht über Verkäufe zu finanzieren. Graswurzel-Institutionen bringen Künstler und Klimaforscher zusammen wie der kleine Berliner Projektraum Trust oder stärken einen kosmopolitischen Blick auf Folgen des Kolonialismus wie Savvy Contemporary. Fördert man kleine wie große Institutionen durch Stipendien, unterstützt man zugleich deren Arbeit wie die der Künstler. Und gibt die Entscheidung darüber, wer wofür Geld bekommt, in die Hände erfahrener Fachleute. Künstlerstipendien allein aber genügen nicht, um das Ringen um Kriterien und Werte neu zu beleben und Künstlern wie Publikum neuen Ehrgeiz zu induzieren. Dafür müsste man auch freie Kunstkritiker mit Stipendien ausstatten, die bisher von ihrer Arbeit kaum leben können.

6. Bürger einbeziehen
Das von der Bundeskulturstiftung geförderte Projekt „Neue Auftraggeber“ stellt das Mäzenatentum vom Kopf auf die Füße: Es hilft Bürgern, ihre Anliegen zu formulieren, und findet Künstler, die sie umsetzen: sei es ein Park, ein Gebetsraum oder ein Wasserspielplatz. Bürger fühlen sich gefragt, entwickeln Gemeinsinn, und Künstler müssen neu auf Bürger zugehen. Der Ansatz ist beliebig skalierbar. Entscheiden sich dagegen Vermögende, Künstler durch Arbeitsstipendien zu unterstützen, könnte auch hier der Staat mit Zuschüssen helfen.

7. Preise
Preise erreichen nur wenige. Aber je prominenter sie sind, desto mehr beleben sie Anteilnahme an und Streit über Kunst. Europäische Kunstpreise könnten ein erster Schritt sein hin zu einer stärker transnationalen Kulturpolitik, die aus einem Wirtschaftsraum einen Hoffnungsraum macht.

Weitere Themen

Über die Natur des Menschen

Aktuelle Kunst in Brüssel : Über die Natur des Menschen

Das Duo Jos De Gruyter & Harald Thys packt transhumane Fauna unter Glas, die Afghanin Kubra Khademi deutet ein persisches Nationalepos neu, Ed Atkins schaut in den Spiegel: ein Galerienrundgang durch Belgiens Hauptstadt.

Topmeldungen

Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan und die Polizei am Sonntagabend, dem 28. Mai, in der Innenstadt von Mannheim.

Deutschtürken und Erdogan-Sieg : Sie wollen einfach nicht

Es ist eine Binsenweisheit: Irgendetwas läuft schief mit der Integration in Deutschland. Die Autokorsos nach der Erdogan-Wahl zeigen den Deutschen, wie naiv ihre Migrationspolitik ist.
Konflikt mit Ansage: Zusammenstöße zwischen serbischen Demonstranten und KFOR-Soldaten in Zvečan am Montag.

NATO stockt Kosovo-Truppe auf : Eskalation mit Ansage

Die Spannungen im Kosovo sind Folge eines seit Langem schwelenden Konflikts. Daran ist nicht nur Belgrad schuld. Die USA hatten Prishtina zuletzt deutlich vor einer Eskalation gewarnt.

Vermisster Bergsteiger : Tod auf 8400 Metern

Luis Stitzinger war allein auf dem dritthöchsten Berg der Welt unterwegs, seit Donnerstag galt er als vermisst. Nun wurde sein Leichnam gefunden.
Prominente Aufseherinnen: Katrin Suder (Deutsche Post DHL), Martina Merz  Siemens) und Clara Streit (Vonovia)

Unternehmen : Dax-Aufsichtsräte immer weiblicher

In diesem Jahr werden erstmals mehr Frauen als Männer neu in die Dax-Aufsichtsräte gewählt. Anders sieht es auf den Spitzenposten in den Kontrollgremien aus.

Newsletter

Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.