Porträtier dich doch selbst
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Dieses Kleid gibt es nur im virtuellen Raum: Die Künstlerin Johanna Jaskowska hat es geschaffen – und für 9500 Dollar verkauft. Bild: The Fabricant
Bildfilter verändern die Art, wie wir uns im Internet zeigen. Und sie verändern die Gegenwartskunst. Was verrät die Revolution des Selbstporträts über das, was gerade mit uns passiert?
Jedes Porträt ist eine Anmaßung. Wenn man einen Maler dabei beobachtet, wie er jemanden porträtiert, spürt man die Nervosität, die dem Moment vorausgeht, in dem der Künstler sagt, „fertig, bitte sehr, das bist du! So sehe ich, so sieht die Welt dich“, und der Porträtierte zusammenzuckt und ruft: „Das soll ich sein? Ich sehe mich ganz anders!“ Lange waren auch die Mächtigsten machtlos, wenn es darum ging, wie die anderen sie sehen und erinnern würden; sie waren der Gnade der Porträtmaler, dem Talent der „Conterfetter“ ausgeliefert. Legendär sind die Wutanfälle von Fürsten und Päpsten, wenn sie sahen, wie man sie sah. Nur Künstler hatten das Privileg, der erschreckenden Fremddarstellung zu entkommen – sie konnten sich selbst porträtieren. Mit der Fotografie änderte sich das, aber erst in den vergangenen Jahren entstanden jene Technologien, die in die Geschichte des Porträts als Vehikel einer massenhaften Selbstermächtigung eingehen werden.
Seit man Kameras in Smartphones so installiert hat, dass das Display zum Spiegel wird, wird die Welt mit Selfies überschwemmt. Mit Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat und Tiktok wurde Selbstdarstellung für viele zu einem Hauptlebensinhalt. Wie beim höfischen Porträt muss das Selfie beides leisten: die „imitatio“, also eine naturgetreue Nachahmung (die Person darf nicht so bearbeitet werden, dass sie nicht mehr erkennbar ist, muss also einige individuelle Züge bewahren), und das „decorum“, die normgerechte Erscheinung. Selbstporträts in sozialen Medien folgen einer gewissen Typisierung, man muss von unten in die Kamera hinaufschauen, ein Duckface mit Schmolllippen machen.
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