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Mario Botta wird 80 : Die Moderne hinter Stein und Ziegel

Untypische Form, typisches Material: Botta vor seiner Therme in Baden Bild: Picture Alliance

Der Schweizer Architekt Mario Botta, der die sogenannte Tessiner Schule prägte, wird achtzig Jahre alt.

          2 Min.

          Das Tessin gehörte lange nicht zu den Orten, an denen man die Zukunft der Architektur finden konnte – und der Ort Mendrisio, rund 20 Kilometer südlich von Lugano gelegen, wäre nur eine Durchgangsstation mit ein paar Kirchen und einer Modelleisenbahn-Ausstellung, wenn nicht der Mann, der hier 1943 geboren wurde, die örtliche Architekturschule zu einem international bedeutenden Ort ausgebaut hätte, an dem Architekten wie Francis Kéré unterrichteten, lange bevor sie als Pritzker-Preisträger berühmt wurden.

          Niklas Maak
          Redakteur im Feuilleton.

          Mario Botta blieb lange in seiner Heimatregion. Er ging im Alter von 15 Jahren als Bauzeichner in die Lehre bei dem Regionalmodernisten Tita Carloni, dem die Gegend einige ihrer futuristischsten, aber aus lokalen Materialien wie Holz und Feldstein gebauten Häuser verdankt. In einem Alter, in dem andere Abitur machen, hatte Botta schon einen ersten Sakralbau in Genestrino entworfen, dessen Fassade kunstvoll wie ein Albers-Quadrat nach innen zurückspringt und eine Überraschung war in einer Epoche, in der anderswo Beton dominierte. Botta griff Fassadentexturen auf, die die Moderne eigentlich gründlich verbannt hatte – seine Chiesa San Giovanni erinnert mit ihren weißen Streifen im grauen lokalen Stein an italienische Renaissancekirchen und hat etwas von der hermetischen Einfachheit romanischer Architektur; erst im Inneren, wenn man gen Himmel schaut und eine spektakuläre Decke aus Beton und Glas zu sehen bekommt, erkennt man, wie sehr Botta am Ende auch von Carlo Scarpa, bei dem er in Venedig studierte, und von Le Corbusier beeinflusst ist.

          An dessen letztem Projekt, einem Spital für Venedig, arbeitete Botta mit, nach Le Corbusiers Tod gründete der junge Schweizer sein eigenes Büro und wurde bald zu einem der wichtigsten Architekten der sogenannten Tessiner Schule, die eine fast antike römische Einfachheit der Volumina mit „einfachen“ Materialien wie lokalem Stein und Ziegel sowie modernen Baustoffen kombiniert. Statt Fenstern gibt es bei Botta oft Lichtschlitze, die den Blick nach außen rahmen und den Lichteinfall nach innen choreographieren. Die waagerechten Streifen und der rote Ziegel tauchen immer wieder in seinen Bauten auf, im San Francisco Museum of Modern Art zum Beispiel, das einen schwarz-weiß gestreiften Tessiner Zeigefinger in den Himmel von Kalifornien steckt.

          Kreise, Kegel, Rotunden und Würfel prägen als stereometrische Grundkörper Bottas massive Bauten, die Kathe­drale von Evry und das La Fortezza in Maastricht, die aus der Entfernung wie ein Kolosseum aus Ziegelstein aussehen. So prägt der Traum vom antiken Rom die Tessiner Gegenwart. Man würde Botta aber unrecht tun, wenn man ihn auf einen Hersteller von abstrahierten Antiken reduzieren würde. Mit seinem zwischen 1990 fertiggestellten Watari Museum in Tokio bewies er, dass mit dem formalen Instrumentarium von Lichtschlitzen, Kreissegmenten, Rotunden mit Bullaugen auch Bauten entwerfbar sind, die eher aus der Zukunft zu kommen scheinen und an scharfkantiges Marsexpeditionsgerät erinnern. Am heutigen 1. April wird der unter anderem mit dem Joseph-Ratzinger-Preis ausgezeichnete Mario Botta achtzig Jahre alt.

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