https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/schrumpfende-fusswaschung-18652404.html

Neue Restaurierungsprobleme : Schrumpfende Fußwaschung

Arg lädiert: Die Restaurierungsarbeiten an Hans Mair von Landshuts Altaraufsatz in der Sakristei des Freisinger Doms Bild: Thomas Dashuber

Der Klimawandel bedroht auch Kulturgüter: Wie im Freisinger Dom ein spätgotisches Altarbild mit moderner Technik gerettet werden soll.

          3 Min.

          Wie man das Bild retten könnte, wird seit mehr als hundert Jahren überlegt. 1902 traten die ersten Schäden auf, und schon damals gab es keine einfachen Antworten. Jetzt ist endlich Bewegung in die Sache gekommen, und das hat auch mit dem Klimawandel zu tun, der die Sensibilität für klimatische Einflüsse auf alle Aspekte des Lebens gesteigert hat. Wer denkt schon darüber nach, was Heizungsluft vielen Kunstwerken in Kirchen, Kapellen und Klöstern antut?

          Hannes Hintermeier
          Feuilleton-Korrespondent für Bayern und Österreich.

          Steht man vor dem Opfer, ist die Dia­gnose auch Laien einsichtig. Das vier Meter breite und drei Meter hohe konvexe Holzaltarbild, das Hans Mair von Landshut anno 1495 für die Sakristei des Freisinger Doms St. Maria und St. Korbinian malte, schrumpft. Die biblische Szenen rund um die Fußwaschung, in prominenter Lage in einer der ältesten und wichtigsten Kirchen Bayerns, weisen Risse auf. Die Farbe blättert.

          Was üblichweise nur Klerikern zugänglich ist, bekommt jetzt weltliche Hilfe zu seiner Rettung. Die Domkirchenstiftung als Eigentümer des Bildes, namentlich der Domrektor Marc-Aeilko Aris, hat sich mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) zusammengetan, um restauratorisches Neuland zu betreten, Erkenntnisse zu gewinnen, die auch für viele Kunstwerke wichtig, vielleicht lebensrettend sein könnten.

          Gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (BDU), die sich das Projekt 360 000 Euro kosten lässt, untersuchen Restauratoren vom Denkmalschutz den Zustand des Holzaltarbilds, unterstützt werden sie vom Bamberger Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften, der TU München und der Münchner Beratungsgesellschaft Care for Art.

          Das Altarbild hängt zu warm und zu trocken

          Ortstermin mit den Restauratorinnen Theresa Hilger und Manuela Hörmann in der Sakristei. Dort hing das Altarbild bis 2016 an der Wand, jetzt steht es abgerückt auf einem mannshohen Podest – hinter verschlossener Tür. Vergangenen April wurde eine Einhausung mit Gipskartonplatten errichtet, seit Mitte Dezember läuft ein Luftbefeuchter. Die nach Süden gehenden Fenster sind mit Licht- und UV-Schutz abgedichtet.

          In der Sakristei hat es 16,5 Grad Celsius, die Luftfeuchtigkeit beträgt 37 Prozent – zu warm, zu wenig. In der Klimakammer liegt die Temperatur konstant bei 10 Grad, die Luftfeuchtigkeit bei knapp fünfzig Prozent, angestrebt sind fünfundfünfzig und mehr. Um das Bild nicht zu verunreinigen, herrscht Maskenpflicht. Die Maske schützt aber auch gegen Blei und Quecksilber, die in den Farbpigmenten enthalten sind.

          Fragiler Christus: Das wie Pflaster aufgeklebte weiße Seidenpapier hindert unter anderem Farbschollen am Ausbrechen.
          Fragiler Christus: Das wie Pflaster aufgeklebte weiße Seidenpapier hindert unter anderem Farbschollen am Ausbrechen. : Bild: Thomas Dashuber

          Die beiden jungen Frauen arbeiten in den Restaurierungswerkstätten im BLfD, Fachbereich Gemälde und Skulptur. Etwa alle zwei Wochen besuchen sie ihren Patienten. Am rechten Rahmenrand ist der Kulturgutverlust mit Fingern zu greifen: Es klafft ein deutlicher Spalt zwischen Bild und Rahmen. Spannfedern, entwickelt am Kunsthistorischen Museum in Wien, verbinden das Gemälde mit dem Rahmen. Stellen, an denen sich der Farbauftrag aufwirft oder ablöst, sind mit speziellem Klebeband fixiert.

          Sieht die Schauseite des Patienten wie notdürftig geflickt aus, ist seine Rückseite verdrahtet. Am Boden stehen Messgeräte, die mit Klimafühlern Oberflächentemperatur und Längendausdehnung dokumentieren. Vier waagrechte Gratleisten und schwalbenschwanzförmige Verbindungsstücke dienen der Stabilität der Konstruktion der Holztafeln; was die schraffierten Einkerbungen im Holz bedeuten, ist noch nicht abschließend geklärt. Eine Kamera macht jede Sekunde ein Bild, ein teurer Laserextensometer ist im Einsatz, der die Verformung misst.

          „Wir leisten hier Pionierarbeit“, freut sich Manuela Hörmann. Denn die in Freising gesammelten Daten sollen helfen, dereinst eine verlässliche Risikobewertung abgeben zu können. Auch weiß man noch zu wenig über den Zustand der Holzzellen, wie lebendig sie noch sind. In Bamberg werden dazu unter Laborbedingen Holzplatten in Klimaschränken untersucht, das Fraunhofer Institut führt hypothermische Simulationen durch. Dass sich das Bild bis in den ursprünglichen Zustand zurückentwickeln könnte, bezweifeln die Wissenschaftlerinnen.

          Das ist Pionierarbeit

          Nichts zu tun ginge gar nicht: Der hohe kunsthistorisch und kulturgeschichtliche Wert des Altarbildes steht für alle Beteiligten außer Frage. Es sei einzigartig für seine Zeit, sagt Theresa Hilger: „Es kommt mir vor wie eine Katze mit neun Leben, aber einige der Leben sind leider schon verbraucht“, so die Restauratorin. Das als „Freisinger Fußwaschungsaltar“ bekannte Bild geht auf eine Stiftung des Tristan von Nussberg zurück, der ausführende Künstler Hans Mair von Landshut war ein Zeitgenosse von Hieronymus Bosch.


          Durch „Fußwaschung“ und „Letztes Abendmahl Christi“ ziehen sich Risse: Der Altaraufsatz Hans Mair von Landshuts in der Sakristei des Freisinger Doms
          Durch „Fußwaschung“ und „Letztes Abendmahl Christi“ ziehen sich Risse: Der Altaraufsatz Hans Mair von Landshuts in der Sakristei des Freisinger Doms : Bild: Thomas Dashuber

          Für all die Priester, die sich in den vergangenen fünfhundert Jahren in der Sakristei auf die Messe vorbereiteten, liefert das spätgotische Wimmelbild Szenen aus der Heilsgeschichte – letztes Abendmahl, Ölberg, Gethsemane. Links oben baumelt der Selbstmörder Judas am Strick, doch die Hälfte seines Leibes pendelt vor Goldgrund – vielleicht ein Hinweis darauf, dass sein Seelenheil nicht ganz verloren ist.

          Und wie für die Epoche üblich, ist das Gesicht des Heilands das einzige auf dem großen Bild, das keine karikaturhafte Verzerrung aufweist – Jesus als Sinnbild für den wahren Menschen.Nun wirkt der Computer-Arbeitsplatz der Sakristanin nicht entfernt wie ein Clean-Desk-Arbeitsplatz in einem klimatisierten Büroturm, und das nicht nur, weil er ohnehin drei Grad unter der Raumtemperatur des öffentlichen Dienstes liegt, doch für Marc-Aeilko Aris stellt sich die Frage: „Kann man unter modernen Arbeitsplatzbedingungen mit mittelalterlicher Kunst zusammenleben?“

          Eine Antwort gibt es noch nicht, eine Tendenz schon: Das BLfD will es am angestammten Platz bewahren, der Domrektor liebäugelt mit einer Überführung in die Schausammlung des benachbarten Diözesanmuseums (F.A.Z. vom 21. November 2021). Entscheiden muss am Ende die Domkirchenstiftung. Eine Entscheidung, die in den kommenden Jahren in vielen kirchlichen Gemeinschaften ansteht.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          FC Bayern entlässt Trainer : Nagelsmann konnte nicht mehr gewinnen

          Die Vorstände in München stellen sich nicht mehr auf die Seite des Trainers, sondern auf die Seite der Spieler. Sie entscheiden sich mit der Entlassung von Julian Nagelsmann auch gegen ihre eigene Machart.
          US-General Mark Milley besuchte die in Syrien stationierten amerikanischen Truppen Anfang März.

          US-Vergeltungsschlag in Syrien : Schlaglicht auf einen Schattenkrieg

          Nachdem ein Amerikaner getötet wurde, fliegt die US-Luftwaffe Angriffe. In dem Schattenkrieg stehen Teheran und irantreue Milizen im syrisch-irakischen Grenzgebiet auf der einen Seite, die USA und Israel auf der anderen.
          Bootfahren in der Lombardei

          Kritische Rohstoffe : „Der Wohlstand Europas steht auf dem Spiel“

          Die EU will kritische Rohstoffe für die Energiewende sichern. Viel zu spät, sagt Benedikt Sobotka, Vorstandschef des kasachischen Bergbaukonzerns ERG. Die Haltung Europas findet er verlogen.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.