Deutsch-russische Romantiker : Wandernde Seelen mit Freiheitsdurst
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Nur Gott weiß, von was der Fischer im Traum sieht: Iwan Aiwasowski „Blick auf die Meeresküste in der Umgebung von Petersburg“, 1835. Bild: Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau
Weit entfernt und doch so nah: Als Höhepunkt des Deutschlandjahres in Russland eröffnet in der Moskauer Tretjakow-Galerie eine Romantik-Schau mit Beteiligung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Die Gretchenfrage, ob die Dresdner Sammlungen in Zeiten permanenter putinscher Grenzüberschreitungen ein Gutteil ihrer Romantiker nach Moskau ausleihen sollten, beantwortet der Ausstellungstitel: „Träume von Freiheit“. Obgleich vor vier Jahren konzipiert, trifft die Gegenüberstellung von deutschen und russischen Romantikern plus ihren aktuellen Nachfolgern mit dem ewigen Ringen um Freiheit ins Herz, damals wie heute, hier wie dort. Denn wäre es denkbar, dass es keinen politischeren Stil gibt als die dessen selten verdächtigte Romantik, die unseren modernen Kunstbegriff wie nichts sonst prägte?
Die Romantik ist kein klar umgrenzter Kunststil, eher eine innere Haltung. Der Satz Caspar David Friedrichs, der Künstler solle nur malen, was er vor sich sieht, wenn er auch etwas in sich sieht, bedingt ein uneigentliches Malen, bei dem eine Landschaft nie nur der Abklatsch einer gesehenen Landschaft ist. Anders jedoch als in Deutschland, wo Friedrich in seinem letzten Lebensjahrzehnt der 1830er Jahre wiederholt Kritik für seinen „Mystizismus“ entgegenschlug, hielten ihm die russischen Romantiker stets die Treue: Ohne den Freund und Dichter Wassili Schukowski, der viele Bildankäufe des Petersburger Zarenhofes vermittelte, wäre Friedrich spätestens nach seinem Schlaganfall im Jahr 1835 dem materiellen Untergang geweiht gewesen - der Bittbrief seiner Frau Caroline an Schukowski liegt in einer Vitrine der Tretjakow-Galerie im Original aus.
In beiden Ländern aber ist diese „unscharfe“ Romantik historisch eingespannt zwischen den Napoleonischen Kriegen mit dem Brand von Moskau 1812 (vom Russland-Feldzug sind die originalen Stiefel Napoleons zu sehen, aus dem Besitz des romantischen Grünen-Gewölbe-Inspektors und Schuhsammlers Peter von Block mit Geniekult-Tick), dem gescheiterten Aufstand der Dekabristen 1825 sowie der Einigkeit und Recht und Freiheit suchenden Revolutionen der dreißiger und vierziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts, war die Romantik unausgesetzte Suche, Utopie, Zweifel und Zerrissenheit, in Russland oft einen Tick verankerter im Glauben und Spiritualität, statt derer deutsche Romantiker nach der Säkularisation 1803 nur eine vage Kunstreligion hatten.
Kongenial wird diese permanente Suchbewegung in der Moskauer Ausstellungsarchitektur Daniel Libeskinds verkörperlicht: Zwei Spiralen werden von mehreren seiner „Blitze“ des Berliner Jüdischen Museums geschnitten. Dadurch ergibt sich an jedem Schnittpunkt die Notwendigkeit der Neuentscheidung. Spätestens nach der dritten aber hat man jeden roten Faden in diesem Labyrinth verloren und folgt nur noch der Intuition – ein Gewinn, der das Entdecken von Bildzwillingen ermöglicht.
Viele russischen Romantiker pilgerten zu Caspar David Friedrich und den zwei Sixtinas
Die ersten Bilder vor dem Sichverlaufen betonen noch unter aufgeladenen Überschriften wie „Erfindung der Heimat“ oder „Wahlheimat Italien“ – ein gemeinsamer Nenner der deutschen und russischen Romantiker – das politische Potential auch der idyllischsten Landschaft: Gegenüber von Anton Iwanows „Die Insel Walaam bei Sonnenuntergang“ (1845) nahe dem nicht nur für deutsche Ohren schrillenden Ladogasee – nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dort Kriegsinvaliden interniert – hängt Ludwig Richters „Überfahrt am Schreckenstein“, acht Jahre zuvor entstanden: Drei deutlich differenzierte Generationen sitzen hier in einem Boot und brechen ebenso zu neuen Gestaden auf wie die Menschlein im Boot bei Iwanow.
Und von Wegen: Wenn Gottfried Seume heute noch für seinen Fußmarsch von Rostock nach Syrakus bewundert wird, muss man da nicht auch die russischen Künstler rühmen, die auf ihrem Weg zum Sehnsuchtsort Rom noch bei der Sixtinischen Madonna und Caspar David Friedrich in Dresden haltmachten? Oft waren sie zuvor wie Archip Kuindschi mit seinen Gerhard-Richter-artigen Landschaftsbändern aus dem Süden des Landes vom Fluss Dnjepr bis nach Moskau oder Petersburg zu Fuß gekommen, sich so im Wortsinn die Eigenheiten der Landschaften, die sie hernach immer wieder malen würden, erlaufend. Die sogenannten „Wanderkünstler“ sind in Russland ohnehin ein feststehender Begriff für eine ganze Malergruppe.