Gedichtsvortrag mit Guardiola : Die Lyrik ist die Kunst der armen Leute
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Er ist nicht nur für Fußball zu haben: Im Münchner Literaturhaus trägt Pep Guardiola Gedichte des im Jahr 2003 verstorbenen katalanischen Lyrikers Miquel Martí i Pol vor. Eine Geste der Freundschaft und der Liebe zur Poesie.
Er ist der erste vor den Stufen zum Podium. Aber im letzten Augenblick, die Sohle des linken Fußes hatte sich schon vom Boden getrennt, wird die Bewegung abgebrochen, und mit einer minimalen Verzögerung, den Oberkörper leicht zurücknehmend, bringt er sich doch noch hinter die Körper seiner Mitstreiter und dirigiert sie mit einer kleinen Geste seiner rechten Hand dorthin, wo er sie haben will. Dann erst, nach dem Schauspieler Thomas Loibl und dem Moderator Michael Ebmeyer, betritt Pep Guardiola die Bühne.
Überblick, Kontrolle, Eleganz. Guardiola ist nicht als Fußballlehrer gekommen, nicht als Repräsentant seiner Heimat oder als Botschafter der katalanischen Kultur, nicht des Geldes oder des Ruhmes wegen und aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht aus Eitelkeit. Er ist aus Liebe und Freundschaft ins Münchner Literaturhaus gekommen. Aus Liebe zur Poesie und aus Freundschaft zu dem im Jahr 2003 verstorbenen katalanischen Lyriker Miquel Martí i Pol, dessen Werk, insgesamt etwa dreißig Bände, hierzulande bislang kaum bekannt ist. Der russische Poet Jewgeni Jewtuschenko soll mit seinen Gedichtlesungen in den sechziger Jahren Fußballstadien in seiner Heimat gefüllt haben - Pep Guardiola könnte, wenn der FC Bayern in der nächsten Saison das Triple holen sollte, aus dem Dortmunder Telefonbuch vorlesen und doch würden die Fans zu Tausenden in die „Allianz Arena“ strömen, um an seinen Lippen zu hängen und seiner Stimme zu lauschen.
Konzentriert und sicher
Literaturhäuser sind aus guten Gründen kleiner als Fußballstadien. Das Münchner Haus gehört zu den größeren seiner Art im Land und platzt jetzt aus allen Nähten. Die Autorendichte im Publikum ist bemerkenswert: Uwe Timm und Dagmar Ploetz sind gekommen, Michael Krüger und Albert Ostermaier. „Ara, Miquel“ heißt das erste Gedicht des Abends: „Jetzt, Miquel, / ist wieder die Zeit / des dicken Garns und der harten Worte.“
Guardiola liest konzentriert, sehr sicher. Kein Zögern, Suchen oder Stocken. Nicht ein einziges Mal wird er sich an diesem Abend verhaspeln. Vom dritten Gedicht an klebt sein Blick nicht mehr fest am Blatt in seinen Händen, sondern sucht das Publikum. Der Schauspieler Thomas Loibl, der die deutschen Übersetzungen von Johannes Hösle und Juana und Tobias Burghardt liest, tut sich tatsächlich schwer, da mitzuhalten. Guardiola liest besser, mit katerhafter Stimme, ein sonores Schnurren. Wenn er anschließend über die Gedichte spricht, erweckt er nie den Eindruck, als bewege er sich auf fremdem Terrain. Tut er auch nicht: Lyrik, sagt Guardiola, ist etwas Persönliches, Privates, man liest ja normalerweise für sich allein, nicht in Gesellschaft. Guardiola hat das Vortragen von Gedichten trainiert, denn er hat die Verse dem Dichter selbst vorgelesen, als dieser ihn darum bat, damals, in „dem engen Zimmer über dem Fluss“ im Städtchen Roda de Ter, wo sein Freund 1929 geboren wurde.
Was haben Fußball und Lyrik miteinander zu tun?
Als Guardiola den kranken Lyriker kennenlernte, war Martí i Pol längst ein berühmter katalanischer Dichter. Debütiert hatte er 1954, Liedermacher wie Lluís Llach hatten seine Gedichte während der Franco-Zeit vertont und äußerst populär gemacht. Damals, in den Siebzigern, war der Katalane ein Arbeiterdichter, links, engagiert. Davon, dass die Gedichte jener Phase heute womöglich überholt sein könnten, in Deutschland sei die Blüte der Literatur der Arbeitswelt ja eher von kurzer Dauer gewesen, will Guardiola nichts wissen. Leise Enttäuschung und ein sanfter Vorwurf liegen jetzt in seinem Blick: „Große Gedichte sind immer aktuell. Sie sterben nie.“ Außerdem würden sich reiche Leute auch heute noch auf dem Rücken der kleinen Leute ein gutes Leben machen. Dann zitiert Guardiola, der Sohn eines katalanischen Maurers, den die Vermarktungsmaschinerie des modernen Fußballs mit Millionen überschüttet hat, seinen toten Freund: Poesie sei die Kunst der armen Leute.
Das „dicke Garn“, von dem das Gedicht „Ara, Miquel“ spricht, kannte Martí i Pol aus der Textilfabrik, dem „großen Bauch“, in dem er arbeiten musste, seit er vierzehn war und bis er zu Beginn der siebziger Jahre an Multipler Sklerose erkrankte. Guardiola liest aus „La fàbrica“ (deutsch im Maro Verlag), aus „Estimada Marta“ und dem „Buch der Einsamkeiten“ (beide auf deutsch in der Edition Delta) sowie aus dem ihm und seiner Frau gewidmeten „Buch der Abwesenheiten“, das noch der Übersetzung harrt. Die Frage, was Fußball und Lyrik miteinander zu tun haben, quittiert Guardiola mit einem mitleidigen Blick: „Nichts“. Über die Besuche bei seinem Freund, dem Dichter, sagt er: „Man ging als besserer Mensch wieder weg.“ Lyriker, sagt Pep Guardiola, seien für ihn Menschen, die „in wenigen Worten sehr viel über Dinge sagen können, die uns alle beschäftigen und über die wir viel zu wenig sprechen“. Fußball war damit wohl eher nicht gemeint.