Art déco in Paris : Frankreichs schönste Botschafterin
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Flapper Girl und Stummfilmstar: Louise Brooks, hier in einer Szene des Films „God’s Gift to Women“ von Michael Curtiz aus dem Jahr 1931 Bild: Cité de l'architecture & du patrimoine
Art déco im französisch-amerikanischen Dialog: eine Ausstellung in der Pariser Cité de l’architecture et du patrimoine.
Bei einem Kostümball im 1916 gegründeten New Yorker Beaux-Arts Institute for Design traten 1931 einige der berühmtesten Architekten Amerikas als ihre eigenen Bauwerke auf: A. Stewart Walker war verkleidet als Fuller Building, und Leonard Schultze steckte in einer Pappversion des Waldorf-Astoria. Am leichtesten zu erkennen war William Van Alen: Auf seinem Kopf ragte die charakteristisch geschuppte Spitze des Chrysler Building einen guten Meter in die Höhe. Man könnte an Schlemmers „Triadisches Ballett“ oder an die grotesk ausladenden Roben der Kostümfeste von Versailles denken, wenn man die Filmausschnitte aus dem Beaux-Arts Institute von damals sieht, aber keine Assoziation drängt sich mehr auf als diese: Art déco trifft Dada.
Das rare Filmdokument ist nur eines der vielen Fundstücke in der Ausstellung „L’Art déco France / Amérique du Nord“, die zurzeit in der Cité de l’architecture et du patrimoine in Paris zu sehen ist. Die Ausstellung, die an ihren Vorgänger mit dem Titel „1925. Als Art déco die Welt verführte“ am selben Ort vor zehn Jahren anknüpft, beschreibt den regen transatlantischen Austausch, der gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts auf dem Feld der Architektur begann und bis etwa 1930 andauerte. In dieser Epoche hatte Frankreich wohl keinen einflussreicheren Botschafter als die Ästhetik des Art déco. Ihre Ideale waren auch in der Alltagswelt der Metropolen nahezu allgegenwärtig: Sie prägten die Architektur der amerikanischen Wolkenkratzer so, wie sie den Schwung der Treppenhäuser und Interieurs in den Pariser Stadtvillen geprägt hatten, die Form der Klubsessel wie der Frisierkommoden, der Schreibtischlampen wie der Staubsauger.
Die Pariser École des beaux-arts hatte vor der Jahrhundertwende etwa hundert amerikanische und kanadische Architekten ausgebildet, die nach ihrer Rückkehr in die Heimat den französischen Architekturstil adaptierten und weiterentwickelten. Als 1925 mit kriegsbedingter zehnjähriger Verspätung die große „Exposition internationale des arts décoratifs et industriels“ in Paris stattfand, entsandte das amerikanische State Department of Commerce eine etwa hundertköpfige Delegation, deren Mitglieder den neuen Stil der Franzosen studieren sollten. Gleichzeitig gingen seit dem Ende des Ersten Weltkriegs immer mehr französische Architekten und Künstler in die Vereinigten Staaten, um dort zu arbeiten und neue Einflüsse aufzunehmen. Das französische Außenministerium ging dazu über, seine Auslandsvertretungen als Gesamtkunstwerke des Art déco zu inszenieren, wie Fotografien der phantastischen französischen Botschaft im kanadischen Ottawa illustrieren.
Die neuen Interieurs des Art déco verlangten nach einem neuen Phänotyp, den Hollywood rasch aufgriff. Nicht männlich, sondern weiblich, aber es war nicht mehr die süßlich-vegetabile Weiblichkeit des Jugendstils, der zuweilen etwas Somnambules anhaftete, sondern die hellwach-selbstbewusste, entschieden ins Androgyne spielende Entschlossenheit der Garçonnes und Flappers, der großstädtischen kleinen Angestellten und der weiblichen Bohemiennes. Das Korsett hatte ausgedient, an die Stelle der fließenden Gewänder der Reformbewegungen, die üppige Formen umspielen sollten, traten schmale Kleider für knabenhafte Körper. Die Haare wurden als Bob getragen oder pomadisiert, die Krawatte galt als provokantes weibliches Accessoire. Idealerweise lebten die Flapper Girls im New York F. Scott Fitzgeralds, das glücklich der Prohibition entronnen war.
Der Stummfilmstar Louise Brooks gehörte zu jenen Schauspielerinnen, die den Bob und mit ihm das neue Frauenideal populär machten. Im Jahr 1929 ging sie von Hollywood nach Berlin, um in G. W. Pabsts Wedekind-Adaption „Die Büchse der Pandora“ als Lulu eine der frühesten lesbischen Szenen der Filmgeschichte zu spielen. Zurück in Hollywood, geriet sie im Laufe der Jahre allmählich in Vergessenheit. Wiederentdeckt wurde sie in den Fünfzigerjahren von französischen Filmkritikern, sodass die Cinémathèque française ihr eine umjubelte Retrospektive widmete, was auch in den Vereinigten Staaten nicht unbemerkt blieb. Der französisch-amerikanische Dialog hatte eine späte Fortsetzung erfahren.
L’Art déco France / L'Amérique du Nord. Cité de l'architecture et du patrimoine, Paris, bis 6. März. Der Katalog kostet 45,– Euro.