Ferdinand Hodler in Bern : An die Wurzel des Problems gehen
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Ferdinand Hodler suchte nach einer inneren Wahrheit, die die Welt zusammenhält. Seinem größten Beitrag, dem „Parallelismus“, widmet Bern nun eine Ausstellung.
Wäre es vorstellbar, dass der auf viele befremdlich wirkende Stilwandel Ernst Ludwig Kirchners im Davoser Exil maßgeblich auf den Schweizer Maler Ferdinand Hodler zurückgeht? Auf jenen Künstler also, der schon fünfzehn Jahre vor Gründung der Künstlergruppe „Brücke“ Bilder so hart und konturiert wie expressionistische Holzschnitte malt. Der auch so klar komponiert und flächig ausmalt wie die Expressionisten, nur eben Jahre früher. Kirchner jedenfalls schreibt kurz nach dem Tod Hodlers im Juni 1918 in einem Brief über diesen: „Er war doch ein Großer!“
Vor allem aber fertigt er noch im selben Jahr den Holzschnitt „Hodlerkopf“, der hinter dem markant in den Grund gekerbten Haupt des Bewunderten die zwei Protagonisten eines zentralen Bildes des Schweizers zeigt: „Der Frühling“ von 1901 bis 1902, aus dem Museum Folkwang in Essen nun nach Bern ausgeliehen, auf dem links ein rothaariges Mädchen im Profil mit geschlossenen Augen den mit Macht aufbrechenden Frühling um sich herum einzuatmen scheint, während rechts ein nackter Knabe frontal auf einem Stein hockt und seinen abgewinkelten Arm mit manierierter Geste auf das Knie stützt.
Er hat eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit dem Selbstbildnis des jungen Ernst Ludwig Kirchner. Und obwohl der junge Mann deutlich größer gegeben ist, sind die Verrenkungen der Füße und Arme beider enorm komplex verwoben und gespiegelt. Genau dies greift Kirchner auf, wenn er die beiden auf seinem Holzschnitt seitenverkehrt aus dem Kopf Hodlers wachsen lässt, wobei das Blau ihres Kleides zur Gesichtsfarbe Hodlers wird, wohingegen das Rot ihrer Haare die Berge im Hintergrund und die überkreuz gespiegelten Blüten links oben und rechts unten einfärbt.
Parallelismus als ordnungsstiftendes Grundmuster der Welt
Damit hätte Kirchner sehr genau erfasst, was Hodler zeitlebens umtrieb und was nun alleiniges Thema einer selten präzisen Ausstellung in Bern ist: Der „Parallelismus“, von dem der Künstler als ordnungsstiftendes Grundmuster der Welt zutiefst überzeugt war.
Durch vereinfachte flächige Kompositionen, nur leicht variiert wiederholte Körperhaltungen oder bewusst symmetrisierte Landschaften versuchte er die Theorie, die er auch in einer Rede öffentlich vorgetragen hatte, nachzuweisen. In 98 Hauptwerken des Malers wird dies im Berner Kunstmuseum an den Motiven Natur (insbesondere den Bergwelten und Seeansichten), an Menschen, Porträts und – ja – Empfindungen wie auch inneren Kräften nachvollzogen.
Eine Gruppe von drei Ansichten des Thunersees ist dabei zentral. Das Bild „Thunersee mit Spiegelung“ von 1905 hielt Hodler selbst für ein Schlüsselwerk des Parallelismus, da sich Bergsilhouette und Wolkenbänder vollkommen symmetrisch in der Seeoberfläche darunter spiegeln und dadurch einen geschlossenen, aber spannungsreichen Bildkosmos generieren. Diese vibrierende Spannung entsteht durch fast unmerkliche Asymmetrien, die Hodler seinen Bildern einmalt.
Überhaupt „Asymmetrie“, der in unseren Tagen politisch so aufgeladene Begriff: Obwohl Hodler beim Malen seiner Bergbilder den einen Standpunkt auswählt, von dem aus etwa zwei Berge symmetrisch als Dreiecke an der Bildgrenze wie ein Rohrschachtest auffalten, sind diese Bergtriangel doch immer unterschiedlich hoch. Handelt es sich um Körper oder Gesichter, werden sie bei aller Stilisierung doch immer subtil verändert; weder Stein noch Mensch werden von Hodler in Form gepresst, er weiß um die Asymmetrie von Gesichtern.
Solche Endlosreihen wiederholt gemalter Motive wie Berge, die Bern nun zeigt, sind natürlich aus dem neunzehnten Jahrhundert bekannt. Tatsächlich sah Hodler in Cézanne mit dessen Mont Sainte-Victoire-Serie einen Seelenverwandten, um sich durch tägliche Übung der maltechnischen Geschicklichkeit gleichsam zu takten, wie auch durch die zunehmende Schärfung des Motivs in der Wiederholung dem Parallelismus in allen Dingen auf die Spur zu kommen. Es ist auch ein Perfektionismus, der dem, so Hodler, „nie erreichbaren, endgültigen Werk“ zumindest durch Wegschnitzen alles Überflüssigen lebenslang so nahe wie möglich zu kommen sucht.