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Die Farbe Weiß in der Moderne : Alles so schön weiß hier

Zwischen Friedrichs „Gescheiterter Hoffnung“ und Jack Nicholson: Stephan Hubers „Shining“, 2001. Bild: Stephan Huber/VG Bild-Kunst, Bon

Von wegen nichts zu sehen: Mit der angeblichen „Nothingtoseeness“ von Weiß untersucht die Berliner Akademie der Künste die politischste aller Farben.

          5 Min.

          Weiß ist eine Farbe, die sich die moderne Malerei ausnahmsweise von der Architektur abgeschaut und geborgt hat. In den Zwanzigern vom Bauhaus bewusst gegen die Farbfreude vergangener Baustile von Mittelalter bis Jugendstil eingesetzt, in die neunundneunzig Prozent des damaligen Gebäudebestandes getaucht waren, standen weiße Häuser ebenso für maßvolle Askese wie für Reinheit und Neuanfang nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Das hat sich gehalten: Die Nationalsozialisten diffamierten unter grotesker Ausblendung dieser Farbikonologie die ganz in Weiß gehaltene Stuttgarter Weissenhofsiedlung – eine Leistungsschau des modernen Bauens – als „arabisches Dorf“, weil die weißen Fassaden manchen Übelwollenden an die sonnenreflektierenden Würfelhäuser Nordafrikas erinnerten, was im Norden nie ein Grund für Weiß war.

          Stefan Trinks
          Redakteur im Feuilleton.

          Nach 1945 werden erneut fast alle Ge­bäude weiß angestrichen, wie zu spät ge­hisste weiße Fahnen der Kapitulation, mit denen demonstrativ die Unschuld im und am Krieg betont werden sollte. Alle Metaphern der „Stunde Null“, das blütenreine Leinentuch des Zudeckens, der wattige Nebel raschen Vergessens wie auch unbefleckten Neuanfangs in Deutschland sind weiß; hier gibt es sogar schick weiß lackierte Tabulae rasae und als einziges Land der Erde eine sprachliche Trennung zwischen „Altbauten“ und „Neubauten“, sinnig mit dem Jahr 1945 als Demarkationslinie.

          All you need is white: Rutherford Changs noch stets durch Zukäufe erweiterte Installation „We buy White Albums“, 2013 und fortlaufend. Bilderstrecke
          Nothingtoseeness in Berlin : Die Beatles als Weißmaler und andere Farbmagier

          Weiß, nicht Rot, ist somit im „Westen“ mit Abstand die politischste aller Farben, und das Einzige, was man der exzellent bestückten Schau zur Farbe Weiß in der modernen Kunst in der Berliner Akademie der Künste im Hanseatenweg ankreiden könnte, ist, dass die Kuratoren Wulf Herzogenrath und Anke Hervol diese Farbpsychologie des Reinwaschens nur implizit anhand der überwiegend für sich sprechenden Werke antippen.

          Unter dem Weiß liegt nur noch mehr Weiß

          Ausgangspunkt der Ausstellung nämlich ist die weiße Monochromie und die damit einhergehende neue Bedeutung der materiellen Oberfläche, welche die Kunstszenen in Deutschland, Europa und die Vereinigten Staaten verbindet (letztere haben mit dem verbissenen Festhalten einiger ihrer Archäologen an ei­ner im doppelten Sinne „weißen Antike“ mit marmorweißen Menschenbildern ak­tuell noch ein weiteres Problem mit dem politischen Weiß). In den Fünfziger- und Sechzigerjahren war das, also genau in der Nachkriegszeit, in der nun auch die Bilder selbst, anders als zuvor in den farbig ausgestalteten Galerien, in sogenannten White Cubes, quadratisch-praktisch-reinen Legebatterien der Askese, ausgestellt wurden. Es stehen einem die geschlitzten weißen Leinwände eines Lucio Fontana vor Au­gen, die Monochromien Raimund Girkes oder Ellsworth Kellys – alle versammelt in der Akademie der Künste unter dem Titel „Nothingtoseeness“, der John Cage entliehen ist, welcher damit gewissermaßen den (das) Nichts sehenden „Wanderer im Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich in Musik übersetzte: Sein legendär tonloses Musikstück „4’33‘‘ von 1952 besteht aus gut viereinhalb Minuten weißem Rauschen, und da Stille und die meditative Wendung ins Innere traditionell mit der Farbe Weiß assoziiert werden, komponierte Cage hier ein Nebelmeer der Musik.

          Und apropos Meer: Auch Yves Klein ist da. Von ihm wird klischeemäßig nur Meeresblaues in der von ihm selbst kreierten Farbe „International Klein Blue“ (I.K.B.) erwartet; lange vor seinen „Tiefsee/h“-Bildern hatte er sich allerdings intensiv in einer Serie mit dem untief und meist blickdicht abschließenden Weiß auseinandergesetzt. Sein „Untitled White Monochrome (M 33, 1958)“ wirkt ebenso meditativ wie Günther Ueckers Zen-Experimente mit der lang andauernden Oberflächenreflexion des Weiß, Gotthard Graubner oder Nam June Paiks „Zen for Film“ von 1964: Paik lässt auf einem al­ten Projektor in Endlosschleife einen unbelichteten Film durchlaufen. Selbst lebensvolle Bewegtbilder können so leer sein – bis auf die vielen nun übergroß projizierten Flusen und Kratzer im Zelluloid.

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