Museumsdirektor Köhne im Gespräch : Wir müssen es wagen!
- -Aktualisiert am
Noch nie eine antike Vase in der Hand gehalten? Eckart Köhne, Direktor des Badischen Landesmuseums Karlsruhe und Präsident des Deutschen Museumsbundes, will das ändern. Der Archäologe geht ungewöhnliche Wege, um Menschen für seine Sammlungen zu begeistern. Bild: Esra Klein
Jeder Mensch ist ein Kurator: Der Direktor des Badischen Landesmuseums plant die Revolution von unten: Offene Depots und selbst gestaltete Ausstellungen. Ist das Mitmachmuseum die Zukunft?
Die Erfolgsformel vieler Museen lautet bis heute Wachstum: Neubauten, Anbauten, Ankäufe, Blockbuster. Ihr neues Konzept weicht davon vollständig ab. Was vermissen Sie im Museumsbetrieb?
Museen müssen sich ernsthaft damit beschäftigen, wie sie sich neu erfinden. Die letzte große Museumsrevolution fand in den Sechzigern statt, damals hieß das Schlagwort „Bildung für alle“. Wenn Sie sich aber die Zahl der Abiturienten ansehen, dann waren das 1968 zehn Prozent der Bevölkerung, heute machen mehr als fünfzig Prozent Abitur. Die Museen erreichen nach wie vor aber nur zehn Prozent. Da können wir besser werden.
Sie haben für das Badische Landesmuseum ein Konzept vorgelegt, das vorsieht, dass nicht nur Museumsangestellte, sondern auch Bürger von außerhalb Ausstellungen bei Ihnen kuratieren können. Wie soll das gehen?
Dies ist eines unserer Ziele. Museen sind eigentlich so angelegt, dass sie die wissenschaftlich fachliche Deutungshoheit für ihre Inhalte haben. Wir versuchen, neben diesem kuratorischen Strang einen zweiten Strang zu entwickeln, bei dem wir selber nicht mehr deuten, sondern die Nutzer und Nutzerinnen des Museums das tun.
Wie muss man sich eine solche Bürgerausstellung vorstellen?
An den Universitäten wird von „Citizen Scienceship“ gesprochen. Ich möchte das etwas bodenständiger formulieren: Wir haben sehr viele historisch interessierte Menschen, denen wir auch Raum geben wollen. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass man eine Ausschreibung für externe Kuratoren macht und dafür entsprechende Mittel bereitstellt.
Sie sprechen von „Nutzern“. Menschen, die ins Museum gehen, hießen bisher „Betrachter“. Was ist der Unterschied?
Unser Aufruf lautet, Museumsbesucher zu Nutzern zu machen. Wir meinen damit, dass es möglich sein soll, in einem Museum, wie in einer Bibliothek oder in einem Archiv, grundsätzlich alle Objekte zu Gesicht zu bekommen, viele davon vielleicht auch in Händen zu halten. Ich hoffe, dass wir dann in nicht allzu ferner Zeit keine Eintrittskarten mehr verkaufen, sondern Nutzerausweise ausgeben. Man muss es wagen.
Museumsobjekte anfassen? Wollen Sie das wirklich?
Natürlich sind Museumsobjekte manchmal kostbar, sehr oft auch empfindlich, aber es gibt eben auch solche, die weniger problematisch sind.
In Ihrem Museumskonzept haben Sie dafür ein neues Wort erfunden: die Expothek. Was ist das?
Wir umgehen damit den Begriff des Depots, der ja meistens einen Ort meint, der nicht öffentlich zugänglich ist. Die Expothek dagegen soll ein Bereich im Museum mit Arbeitsplätzen sein, zu denen man sich Objekte hinbestellen kann, als Einzelperson oder auch als Gruppe. Empfindliche Stücke kommen dann in einer Vitrine, andere dürfen auch in die Hand genommen werden.
Ein vier Meter langes Historiengemälde lässt sich schlecht in einen Benutzerraum bestellen.
Das stimmt. Der Bereich der Volkskunde mit den Möbeln beispielsweise oder die Steinobjekte der Römerzeit, die wir in der Sammlung haben, sind natürlich nicht beweglich. Aber auch sie sollten erreichbar sein: Unsere Depots sollten künftig so gestaltet werden, dass sie diesen Zugang einfach ermöglichen.
Was könnten Museumsnutzer bestellen?
Viele Menschen interessieren sich für Geschichte und forschen. Wir hatten schon Anfragen von Personen, die an einer Ortschronik arbeiten und sich informieren wollten, was für archäologische Objekte in ihrer Gemeinde gefunden worden sind. Oder Projekttage in Schulen. Man könnte sich vorstellen, dass innerhalb eines solchen Projektes kleinere Ausstellungen erarbeitet werden, zu aktuellen Themen.
Ihnen bereitet die Vorstellung erstaunlich wenig Sorgen, dass Museumsobjekte auch von anderen Menschen als den Fachleuten in die Hand genommen werden dürfen. Wie kommt das?
Wahrscheinlich ist es meine persönliche Freude daran, Originalobjekte auch mal in die Hand zu nehmen. Einige Eigenschaften erfährt man erst dann: die Beschaffenheit der Oberfläche, das Gewicht, die Größe, die Zerbrechlichkeit vielleicht, die Solidität. Wie schwer ein Marmorkopf ist, kann man erst ermessen, wenn man ihn hochgehoben hat. Es ist ja auch in Bibliotheken so, dass nicht alle Bereiche zugänglich sind: Es gibt Vitrinen, eine Schatzkammer und letztlich auch einen Tresor für die Schätze. Natürlich würden wir auch eine entsprechende Klassifizierung erarbeiten, die unsere Sammlungsstücke nach ihrer Empfindlichkeit sortiert.
Eignet sich dieses Konzept nur für kulturhistorische Museen – wie Ihr Haus – oder auch für Kunstmuseen?
Ich wüsste nicht, was dagegen sprechen würde, so etwas in Kunstmuseen zu machen. Da läge dann der Vorteil darin, dass man in der Regel Gemälde oder Kunst – wenn es nicht gerade Installationen oder Videos sind – technisch einfacher präsentieren kann. Allerdings sind hier die konservatorischen Auflagen besonders hoch.
In gewisser Weise wird Ihre Idee an Kunstmuseen schon praktiziert. Dort nennt man es „Graphisches Kabinett“.
Das ist auch so. Allerdings ist das Graphische Kabinett meistens mehr für Connaisseurs und Spezialisten attraktiv. Wir gehen einen Schritt weiter: Bei uns könnte man die Objekte, die man sich kommen lässt, gegebenenfalls auch in eine Ausstellung einbringen, wir suchen Formate für eine echte Teilhabe.
Laut den Besucherstatistiken sind die Ausstellungen häufig voll, die Sammlungen aber leer. Kann Ihr Konzept daran etwas ändern?
Unbedingt. Es gibt uns die Möglichkeit, aktueller zu sein. Museen haben ja in der Regel relativ lange Vorlaufzeiten für besondere Projekte, und diese kleineren Formate bieten die Chance, schneller zu reagieren. Es ist trotzdem natürlich so, dass große Sonderausstellungen einen wesentlich größeren Anteil der Besucher anziehen als die Schausammlungen, zumal wenn man nicht ein touristisches Ziel ist wie die Nofretete in Berlin oder das Grüne Gewölbe in Dresden. Die Menschen aus der Region machen bei uns einen großen Teil unserer Besucherinnen und Besucher aus. Viel Interesse bekunden auch die Einwanderer türkischer Abstammung an unserer Sammlung. Ihnen allen müssen wir regelmäßig Neues bieten.
Warum ist das Badische Landesmuseum für Einwanderer interessant?
Zum Beispiel wegen der sogenannten „Türkenbeute“. Das ist eine Sammlung türkischer Kunstgegenstände, die hier im Haus Baden gesammelt wurde, weil Markgraf Ludwig Wilhelm in den Türkenkriegen des siebzehnten Jahrhunderts eine tragende Rolle gespielt hat. Wir haben viele Besucher, die aus der Türkei kommen oder türkische Vorfahren haben. Das ist ein guter Anlass, um ins Gespräch zu kommen, auch für ein Ausstellungsprojekt. Aber ich kann mir auch noch ganz andere Anlässe vorstellen, auch Geburtstage oder Heiratsanträge.
Eine Museumsausstellung zum Heiratsantrag?
Es gab ja einen Fall in Stuttgart in der Staatsgalerie, wo jemandem ein Heiratsantrag im Rahmen einer Ausstellung gemacht werden sollte. Der junge Mann, der das geplant hatte, wollte selber Objekte in die Ausstellung dazu bringen. Das war in dieser Form nicht möglich. Aber das ist ein Punkt, an dem man sicher gut ansetzen kann. Wenn man eben variable Flächen hat, warum soll es nicht möglich sein, vielleicht zum siebzigsten Geburtstag mit den Gästen zusammen eine kleine Ausstellung zu kuratieren? Zum Beispiel könnte jedes Lebensjahr durch ein Objekt repräsentiert werden.
Haben Sie keine Angst, dass man Ihnen den Ausverkauf des Museums vorwirft?
Ich wüsste nicht, dass die Beschäftigung mit den Objekten ein Ausverkauf wäre. Denn das ist doch der Kern der Museumsarbeit. Und öffentlich zugänglich muss ja nicht bedeuten, hinter den Vitrinen stehen zu bleiben.
Könnte das nicht die Museumswissenschaftler verärgern?
Man muss klarmachen, was von den Museumswissenschaftlern kuratiert ist, und deutlich unterscheiden von dem, was etwa Bürger oder Schulklassen tun. Das werden die Menschen aber sehr schnell verstehen. Es gibt den etwas sentimentalen Wunsch, in das Museum des neunzehnten Jahrhunderts zurückzukehren, in eine Oase der wissenschaftlichen Kontemplation. Aber ich glaube, dass das nicht zeitgemäß ist, denn Museen brauchen gesellschaftliche Akzeptanz. Und die werden sie nur haben, wenn sie die Bürgerinnen und Bürger für sich einnehmen. Sie sind es, die die Museen mit ihren Steuergeldern finanzieren. Wenn sich deren Bedürfnisse verändern, versuchen wir, darauf Rücksicht zu nehmen.
Voraussetzung dafür ist die digitale Erweiterung Ihres Museums. Wie sehen Ihre Pläne dafür aus?
Wir haben etwa 400000 Objekte, von denen gut ein Drittel digitalisiert ist. Die anderen Bestände wollen wir in Basisdaten möglichst schnell erfassen, denn die digitale Recherchierbarkeit ist für die Nutzung ein zentraler Baustein.
Wie finanzieren Sie das?
Wir werden aktuell mit Projektmitteln der Landesregierung von Baden-Württemberg unterstützt, so dass wir einen guten Start haben.
Eine enge Zusammenarbeit mit den Bürgern bedeutet doch auch, dass die Personalkosten steigen?
Wir werden unsere Personalstruktur verändern müssen, da wir die neuen Aufgaben sonst nicht bewältigen können. Natürlich wäre mehr Personal hilfreich, aber das erscheint zumindest im Moment nicht realisierbar.
Wann geht es los?
Wir starten mit Laborprojekten im kommenden Jahr. In der Abteilung für Frühgeschichte wird eine Test-Expothek eingerichtet. Danach wird es weitere Versuchsprojekte geben, so dass wir vorbereitet sind, wenn die Sanierung des Museums beginnt.