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Aufgaben der Kunstmuseen : Ein Chamäleon im Kulturbetrieb

  • -Aktualisiert am

Das Kunstmuseum wird entkernt: Ausstellungen gibt es zwar mehr denn je, aber die ursprünglichen Aufgaben des Sammelns, Erhaltens und Erforschens geraten ins Hintertreffen. Ein Gastbeitrag.

          4 Min.

          Ob wir zu viele Museen haben, wie es Thema des Gesprächs mit der Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart, Christiane Lange, war, das lässt sich so allgemein nicht beantworten. Denn das Museum ist das Chamäleon unter den Kulturinstitutionen: Es ist Heimatmuseum oder Hauptstadtattraktion, Stadtteilforum oder Touristenmagnet, kommunal oder staatlich, privat oder öffentlich, menschenleer oder touristenbelagert. Und die Liste der Gegenstände, Personen und Ereignisse, denen es sich widmen kann, ist schier endlos. Es ist daher schwer, Thesen über das Museum aufzustellen, für die sich nicht sofort Gegenbeispiele finden lassen.

          Für den ungebrochenen Erfolg der Museen spricht, dass ständig neue gegründet werden und alte Neubauten erhalten, aber auch, dass die Institution zu den erfolgreichsten Exportartikeln Europas gehört: Überall in der Welt stehen Museen, von Chile bis Grönland, auf beiden Seiten des Pazifiks wie des Atlantiks. Und bei Stadtgründungen Chinas oder Arabiens plant ein postmodernes Monopoly sie der Konsummeile schon als Kulturalibi ein, bevor Sammlungen überhaupt vorhanden sind. Einige Emirate hat das nicht lange irritiert, weil sie entdeckten, dass man sich die auch in Paris oder New York mieten kann.

          Jedenfalls gehört ein Museum heute weltweit zum unverzichtbaren Inventar der Stadtmitte, wie bei den Griechen die Agora, bei den Römern ein Forum oder in der Gotik ein Dom – sei es als urbanes Accessoire oder als dramatisch ausgeleuchteter Erinnerungsschacht, als strenge Bildungsanstalt oder prächtiges Bilderhaus. Und es gibt keine Kulturinstitution, die in den letzten fünfzehn Jahren so oft in Kinofilmen gefeiert worden wäre: „La Ville Louvre“ (2000), „The Russian Ark“ (2002), „Museum Hours“ (2012) sowie „National Gallery“ und „Das große Museum“ (beide 2014). Demnächst kommt mit „Francofonia“ sogar schon die nächste Museums-Eloge in die Kinos.

          Wanderzirkus der Wechselausstellungen

          Die Karriere des Museums liegt in einer Eigenschaft begründet, die sein Erfolgsgeheimnis ist: Es kann als Begriffsrahmen und Bauhülle für praktisch alles dienen, nobilitiert aber zugleich jeden Gegenstand, dessen es sich annimmt. Dabei ist es polyglott und polymorph: Es kann das Fremde eingemeinden und das Alltägliche verfremden, und das in jeder Architektur – gibt es eine interessantere Kulturinstitution? Man könnte also, wie die letzten beiden Jahrhunderte, der Meinung sein, dass es einfach nicht genug Museen geben kann – in jedem Ort, in jeder Form und für jede Sache.

          Aber wird sie das 21.Jahrhundert noch finanzieren? Die Krisenzeichen, darin muss man Christiane Lange recht geben, mehren sich, auch und gerade beim Kunstmuseum. Von seinen vier Gründungsaufgaben hat nur noch eine richtig Konjunktur: das Ausstellen. Fragt man einen Reisenden, ob er auch das Kunstmuseum der Zielstadt besuchen wird, kommt prompt die Gegenfrage: Welche Ausstellung läuft denn da gerade? Nur in den ganz großen Häusern kann die Schausammlung noch als alleinige Attraktion bestehen, alle anderen müssen sich dem Wanderzirkus der Wechselausstellungen anschließen oder ständig eigene Glanznummern erfinden. Meinte die Gründungsaufgabe des Ausstellens ursprünglich nur die ständige Schausammlung, so geht es heute nicht mehr ohne Wechselausstellung.

          Was wir daher seit drei Jahrzehnten erleben, ist eine Entkernung des Kunstmuseums um die drei anderen Gründungsaufgaben des Sammelns, Erhaltens und Erforschens, die in den Schatten der Wechselausstellung geraten sind. Auch dabei erweist sich das Kunstmuseum wieder als Chamäleon, indem es so tut, als hätte die Wechselausstellung schon immer zu seinen Aufgaben gehört, die in Wahrheit seine jüngste und vielleicht auch letzte Chance ist: Nur wenn es solche massentauglichen Attraktionen hervorbringt, werden die Gründungsaufgaben des Sammelns, Bewahrens und Erforschens in der Politik überhaupt noch halbwegs ernst genommen. Ganz ernst nimmt sie aber auch dort niemand mehr, denn sonst würden die Ankaufsetats erhöht statt gestrichen, die Restaurierungswerkstätten ausgebaut statt ausgelagert und die Forschung kameralistisch verankert statt Stiftungen überantwortet.

          Und so ist man auf Förderer, manchmal auch auf Spekulanten angewiesen, um die Schauräume mit unbezahlbar gewordenen Dauerleihgaben zu arrondieren, sowie auf Stifter und Mäzene, um die Sammlungen zu ergänzen. Und so werden viele schadhafte und hinfällige Werke nicht mehr restauriert, wenn es fällig ist, sondern erst dann, wenn jemand sie für eine Ausstellung ausleihen will, dem man dann die Instandsetzung aufbrummt. So hat sich eine Praxis der „restoration on demand“ etabliert, während in den Depots ein unsichtbarer Kontinent verschleppter Problemfälle heranwächst. Und so baut man, wie in Kulturbetrieben ohnehin üblich, auf die Selbstausbeutung der Mitarbeiter, was der öffentlichen Hand viel Geld spart, wenn diese dann trotzdem das öffentliche Auge erfreuen oder die öffentlichen Ohren. Sind sie davon rechtschaffen müde, können sie zu Hause über Büchern einschlafen, die „Müde Museen“ heißen.

          Scheinlösung: Depotverkäufe

          In seiner Festrede zum 50.Jubiläum des Duisburger Lehmbruck-Museums hat der Kulturtheoretiker Wolfgang Ullrich dagegen festgehalten: „Die Aufgaben und Leistungen der Museen sind in den letzten fünfzig Jahren in unglaublicher Weise gewachsen. Personal und Etats sind nicht annähernd so stark gewachsen“, und man kann sich seiner Meinung nur anschließen, dass dort Multitasking zur erschöpfenden Dauerlösung für viele längst ausgefranste Stellenprofile wird.

          Als seien diese seit Jahren heranwachsenden Probleme nicht schon gravierend genug, kamen zuletzt Depotverkäufe und sogar Museumsschließungen ins Spiel. Schon als es um die Scheinlösung der Depotverkäufe ging, ließ sich für viele der kleineren und mittleren Kunstmuseen diagnostizieren, dass sie im Zustand einer Konkursverschleppung gehalten werden, die in der Wirtschaft strafbar ist, in der Kulturpolitik aber leider nicht (F.A.Z. vom 24.März 2012). Trotzdem ist es immer noch einfacher, ein Museum zu gründen, als eines zu schließen. Und es werden immer noch so viele gegründet, dass es an das Stresswachstum gemahnt, in das Pflanzen sich zu retten versuchen, wenn sie merken, dass die Ressourcen knapp werden.

          Was angesichts solcher Probleme hilft? Bessere Lobbyarbeit, sagen die Politikberater – aber das machen wir doch bis über die Grenzen der Selbstachtung hinaus, antworten die promovierten Klinkenputzer. Bessere Nachfrageorientierung, sagen die Kulturanalysten – aber wo bleibt dann der Bildungsauftrag? fragen die Veteranen der „Kultur für alle“. Noch mehr Wechselausstellungen, sagen die Tourismusmanager – aber was wird dabei aus den Werken? knurren die Restauratoren. Dann bestückt doch mehr Ausstellungen aus dem Depot, sagen die Sparkommissare – aber wie soll man damit die geforderten Besucherquoten erreichen? seufzen die Direktoren. Macht noch mehr Events, sagen die Wirtschaftsprüfer – vielleicht einen Selfiewettbewerb? stichelt die Pressestelle. Saniert euch durch Verkäufe aus dem Depot, sagen die verkappten Insolvenzverwalter der Stadtverwaltung – lernt erst mal richtig rechnen, denkt sich da selbst der Volontär. Schließt die Kleinstadtmuseen, sagen die Metropolenbewohner – wollt ihr denn noch mehr Rollkoffer in Berlin? staunt der Provinzler. Legt Sammlungen zusammen, sagen die Bestandsretter – aber was soll daran letztlich billiger werden, als es jetzt schon gehandhabt wird? brummt der Kustos. Diese Argumentation kennt man nun schon seit langen Jahren, und vielleicht gehört sie inzwischen längst selbst in ein Museum. In eines für gordische Knoten.

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