Digitalisierte Kulturstätten : Mit 3D-Drucken gegen das Vergessen
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Archäologen versuchen zu retten, was der IS noch nicht zerstört hat: Historische Stätten werden flächendeckend fotografiert, um in 3D auferstehen zu können.
Nicht nur die Öffentlichkeit ist betroffen von den Verwüstungen, die der „Islamische Staat“ in den antiken Stätten, zuletzt vor allem Syriens, aber ebenso des Irak, anrichtet. Auch Archäologen, die in Ländern des Nahen Ostens gegraben und geforscht haben, blicken mit Entsetzen auf die Zerstörungen in den assyrischen Stätten Ninive und Nimrud, Palmyra und den Ruinen von Hatra. Die Arbeiten dort sind meistens längst eingestellt, die Mitarbeiter in sicherere Nachbarländer oder nach Europa gezogen. Was aber kann man von dort aus tun? Einfach abwarten ist für etliche keine Option, und so gibt es schon jetzt diverse Initiativen zur Rettung des antiken Erbes, von denen die spektakulärste nun der englische Archäologe Roger Michel auf den Weg bringt.
Der Leiter des in Oxford ansässigen Instituts für digitale Archäologie möchte Ende September in fünf Ländern des Nahen und Mittleren Ostens mit der Verteilung von eigens entwickelten, kleinen 3D-Kameras beginnen, um historische und antike Stätten in der Region zu fotografieren, bevor sie möglicherweise zerstört werden. Die Kameras hat er gemeinsam mit dem ebenfalls an der Universität von Oxford lehrenden Physiker Alexy Karenowska entwickelt. Sie verfügen, neben einer lange haltenden Batterie, über einen Internetanschluss, mit dem die Fotos möglichst schnell hochgeladen und verschickt werden können, und zwar an das Institute for the Studys of the Ancient World an der New York University.
20 Millionen Fotos sind das Ziel
Das dort entstehende, öffentlich zugängliche Archiv soll die Bilder nach den äußerst kühnen Plänen von Roger Michel indes nicht nur verwahren, sondern die Daten für die künftige Rekonstruktion der zerstörten Kulturstätten aufbereiten. Denn mit 3D-Daten lassen sich auch große, industrielle 3D-Drucker füttern – und sie will Michels eines nicht allzu fernen Tages nutzen, um die antiken Stätten zu reproduzieren.
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Es gebe, so sagte er dieser Zeitung, auch schon konkretere Pläne dafür, wann und wo diese Reproduktion stattfinden soll. Genaueres möchte er „aus Sicherheitsgründen“ aber noch nicht verraten. Fest steht bisher nur, dass insgesamt fünftausend der von einer chinesischen Firma eigens produzierten Kameras im Jemen, in Libanon, in der Türkei und im Irak sowie in Afghanistan verteilt werden sollen. Für die Organisation dieser Verteilung ist der in Oxford arbeitende Ben Altshuler zuständig, der als „field director“ den Kontakt zur Unesco und zu kleineren Organisationen in den arabischen Staaten hält, deren Mitarbeiter sich, da sie zuweilen in der Nähe wertvoller archäologischer Stätten tätig sind, nun eben auch als Fotografen beschäftigen werden. Auf diese Weise hofft das Oxforder Institut, dem nach eigenen Angaben zwei Millionen Pfund von privaten Stiftern zur Verfügung stehen, bis zum Ende des nächsten Jahres rund zwanzig Millionen Bilder von historisch wertvollen Gebäuden, Palästen und Tempeln, aber auch von kleineren Antiquitäten wie Münzen, Tonwaren und Werkzeugen zu besitzen.