Lucian-Freud-Ausstellung : Bedrohliche Topfgewächse
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Höhepunkt des Jubiläums: Die faszinierenden Pflanzenbilder von Lucian Freud werden im Londoner Garden Museum gezeigt.
Sosehr der Maler Lucian Freud an seinem Großvater Sigmund hing, er machte nie einen Hehl daraus, dass er mit der Psychoanalyse nichts anfangen konnte. Der Enkel war als Schüler weder akademisch veranlagt, noch besaß er, bei aller Bereitschaft, über die Malerei zu reden, eine Neigung zum Theoretisieren, wie die jüngst anlässlich seines hundertsten Geburtstages unter dem Titel „Love, Lucian“ veröffentlichte Faksimile-Edition seiner Jugendbriefe belegt.
In einer Handschrift verfasst, über die der Künstler selbstironisch witzelte, sie suggeriere ein elfjähriges Kind mit Schilddrüsenunterfunktion, ist die sowohl in seiner ersten Sprache Deutsch als auch auf Englisch vor legasthenischen Schreibfehlern strotzende Korrespondenz amüsant, neckisch und oft frivol. Sie offenbart eine Vorliebe für witzige Verse und Wortspiele nach der Art von Morgenstern, Ringelnatz und Busch, die der 1922 in Berlin geborene Maler aus seiner Kindheit kannte. Womöglich wurde diese Vorliebe von seinem „Groß Pap“ gefördert, der vor 1933 öfter aus Wien bei seinem Sohn Ernst und dessen Familie zu Besuch war.
Am Großvater schätzte der Enkel denn auch vor allem den Humor. Sigmund Freuds Erkundung der Psychologie des Unbewussten, in der manche Kritiker klischeehaft Parallelen zu Lucian Freuds Methode des Sezierens mit Pinsel und Farbe zu erkennen meinen, machte auf den Maler weit weniger Eindruck als die frühe Beschäftigung des Begründers der Psychoanalyse mit der Sexualität der Aale und dessen Beharren auf einer gründlichen medizinischen Untersuchung seiner Patienten, bevor er in deren Seelenleben eindrang. Bei Lucian Freud war die akribische Auseinandersetzung mit seinem Gegenstand, sei er lebendig oder leblos, Voraussetzung für sein künstlerisches Bestreben, die Sinne durch Intensivierung der Wirklichkeit zu berühren.
Akribische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand
Dieses Ziel hatte Lucian Freud 1954 in einer Art von Programmschrift formuliert, von deren Grundsätzen er nie abgewichen ist, auch nicht, als er stilistisch andere Richtungen einschlug. Kern seines Schaffens war die Überzeugung, dass ein Maler sein Sujet Tag und Nacht unter engster Beobachtung halten müsse, damit es sich ihm zur Gänze erschließe. Nur diese Kenntnis erlaube ihm, auszuwählen und einem Gemälde jene Eigenständigkeit zu verleihen, ohne die es die Wirklichkeit nicht erfasse, sondern bloß an sie erinnere.
Dazu gehörte bei Freud auch die Vertrautheit mit dem engen Umfeld, in dem er lebte und arbeitete. Die meisten seiner Bilder sind in drei West-Londoner Räumen entstanden, deren Wände, Holzfußböden und vergammelte Möbel er genauso penibel registrierte wie die sich seinem durchdringenden Blick ausliefernden Personen. Seine zweite Frau Caroline Blackwood brachte es auf den Punkt, als sie bemerkte, dass ein von Freud gemaltes Waschbecken eine Waschbeckenhaftigkeit darstelle, die kräftiger zu sein scheine als das, was Waschbecken selbst verströmten.
Lucian Freud maß den scheinbar nebensächlichen oder unauffälligen Dingen auf ähnliche Weise Bedeutung bei wie sein Großvater den Marginalien, die er als Symptome größerer Faktoren ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. In Lucian Freuds Pflanzenbildern tritt das besonders deutlich hervor, zumal der Maler sich vor allem von gewöhnlichen Gewächsen angezogen fühlte: von Zimmerlinden, Disteln, Wildblumen und Unkraut.