Laudatio auf Barbara Klemm : Die Demokratin der Fotografie
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Jedes ihrer Bilder ist eine Elegie auf die handelnden Personen und die Umstände, die nie wiederkehren. Am Sonntag ist Barbara Klemm, die frühere Fotografin dieser Zeitung, in den Orden Pour le mérite aufgenommen worden. Die Laudatio von Durs Grünbein.
Es gibt die Fotografie als Privatangelegenheit, täglich Millionen Bilder ausscheidend, von denen die meisten kein zweites Mal angesehen werden. Es gibt sie als informative, mediale Gebrauchsform - keine Zeitung ohne ihr tägliches Titelbild. Oder als Werbefotografie, Vehikel der Moden, Stars und Produkte, sogar an der Bushaltestelle vor der Haustür, als Bilderfassade am Potsdamer Platz.
Es gibt sie als Kunstform, Konkurrentin der Malerei und oft ihre Stichwortgeberin, an Ausdrucksreichtum ihr selbstbewusst gegenüberstehend - eine Kunst, die, nebenbei bemerkt, zu den Originalbeiträgen dieses Zeitalters gehört, an den Kunstakademien ist sie ein eigenes Studienfach. Und schließlich gibt es sie als das Metier des Augenzeugen mit der Kamera, jenes seltenen unaufdringlichen Beobachters, der im rechten Moment am Rand der Ereignisse auftaucht und zugreift, ein Purist seiner Zunft, der nichts arrangiert, nichts computertechnisch veredelt, und am Ende gerade dadurch das Kostbarste vom Aussterben bedroht.
Für sie steht der Name Cartier-Bresson stellvertretend. Barbara Klemm hat die Qualitäten der Magnum-Ästhetik, aber auch die mit ihr verbundene Moral eines respektvollen Menschenbildes, nach Deutschland gebracht. Sie kann sich zu Recht auf das große Vorbild berufen, wenn sie sagt, als Fotograf müsse man immerfort in Bewegung bleiben. Kein Kollege ihres Formats ist in den letzten vierzig Jahren so viel auf Achse gewesen. Die Stempel in ihrem Pass möchte man sehen. Mehrere Bildbände dokumentieren ihre Reisen durch die Räume einer damals noch weitgehend gespaltenen Welt, durch die Zeiten und Schauplätze des Kalten Krieges und der Studentenrevolution, der deutschen Parteienpolitik und der weltweiten bewaffneten Konflikte. Es sind Straßenbilder, Milieustudien, Ausschnitte vom Leben auf dem Lande und in den Metropolen - eine Welt, wie sie vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren noch aussah, doch die sind nun um, und auf einmal schaut einen das alles historisch an, unvorstellbar entrückt. Dass es aber lebendig bleibt, hat mit dem untrüglichen Augenblickssinn der Fotografin zu tun, ihrer Fähigkeit, Menschen und ihre Situationen im Moment intensivster Präsenz zu erfassen. Das ist eine Gabe, und wir können, wie bei jedem Künstler, nur spekulieren, wie es zu dieser Geistesgegenwart kam.
Beitrag zum Familienalbum der Nation
Das ist die Frau, die über viele Jahre das öffentliche Bild der Bundesrepublik Deutschland mit geprägt hat - und niemand musste die Person dahinter je kennen. Denn während Leitartikel und Reportagen fett mit dem Namen gekennzeichnet sind, verschwindet der fotografische Urheber am Bildrand in Mikroschrift, und nicht viele teilen meine Marotte, bei gelungenen Pressebildern das Kleingedruckte zu lesen. Doch auch wer den Namen nicht kennt, hat als gelegentlicher Leser der F.A.Z. mit Sicherheit irgendwann eines ihrer Bilder vor Augen gehabt und vielleicht nicht nur überblättert, sondern ausgiebig betrachtet. Er wird sich dann, so wie ich, an sein Staunen erinnern vor den magischen Möglichkeiten dieser oft unterschätzten Vergegenwärtigungskunst Fotografie.
Barbara Klemm ist eine Institution. Und das sagt einer, der gewissermaßen erst mit Verspätung die Szene betrat - und umso mehr angewiesen ist auf ein verlässliches Epochenbild der Ereignisse während seiner Abwesenheit. Man hat Erich Salomon den Chronisten der Weimarer Republik genannt. So wird man Barbara Klemm ohne Übertreibung zu den bedeutenden Chronisten der alten Bundesrepublik zählen dürfen. Ihr Beitrag zum Familienalbum der Nation ist unübersehbar. Manche ihrer Aufnahmen dürften längst den Weg in die Geschichtsbücher gefunden haben.