Kunstraub im Nationalsozialismus : Das lassen wir lieber in der Kiste
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Zahlreiche Kunstwerke jüdischer Eigentümer wurden jahrelang gezielt vor ihren Besitzern versteckt. Eine Ausstellung über „Raub und Restitution“ von 1933 bis heute im Jüdischen Museum Berlin zeigt jetzt, wovon die Kunstwelt nach 1945 nichts wissen wollte.
Im Herbst 1923 malte Lovis Corinth ein Porträt seines Nachbarn, des jüdischen Herrenschneiders Walther Silberstein. In das Gemälde schrieb Corinth mit einem wilden Pinselschwung „Herrn Silberstein zur Erinnerung October 1923“. Silberstein revanchierte sich mit einem maßgeschneiderten Anzug für Corinth.
Sieben Jahre später starb Silberstein. Seine Witwe Ada bewahrte das Porträt in ihrer Berliner Wohnung auf. 1942 wurde sie deportiert; das Bild landete noch vor Kriegsende unter ungeklärten Umständen in der Sammlung des ehemaligen NSDAP-Mitglieds Conrad Doebbeke.
Nach 1945 bemühte sich Doebbeke, diesen Besitz zu verschleiern. An den Leiter der Gemäldegalerie des niedersächsischen Landesmuseums in Hannover, Ferdinand Stuttmann, schrieb er 1950 in einem Brief, den das Jüdische Museum Berlin jetzt in seiner Ausstellung zeigt, es bestehe die Gefahr, „dass irgendein Herr Silberstein es wiederhaben will“. Er wolle deshalb auch nicht, dass das Bild in Hannover ausgestellt werde, „weil ja immer noch die Rückerstattungsgefahr besteht. Ich glaube, diese Gefahr hört in einem Jahr auf. Aber bis dahin wollen wir die Sachen lieber in den Kisten lassen.“
Ausflüchte, Halbwahrheiten und Unschärfen
Und Stuttmann, der die Gemäldegalerie von 1937 bis 1962 leitete und ein gutes Beispiel für die personelle Kontinuität zwischen Drittem Reich und Bundesrepublik ist, ließ „die Sachen“ gerne in den Kisten. Museumsleiter wie er wussten, wo das war, was die jüdischen Familien suchten; sie kannten die Sammler, die vom nationalsozialistischen Terror profitierten; sie hielten den Mund und inszenierten sich lieber als Helden des Wiederaufbaus, die die „entartete Kunst“ wieder in die Museen brachten.
Die von Inka Bertz und Michael Dorrmann kuratierte Ausstellung zu „Raub und Restitution“ von geraubtem jüdischem Kulturbesitz nach 1933 fällt in eine Zeit, in der die Diskussion über die von Handel und Museen lange vernachlässigte Frage, woher die Schätze, die sie kauften und verkauften, eigentlich stammen, neu aufgeflammt ist (F.A.Z. vom 15. August). Sie stellt den Ausflüchten, Halbwahrheiten und Unschärfen, die die Diskussion um Provenienzforschung und Restitution so wirr machen, einen massiven Datenberg entgegen. Wenn heute darüber gestritten wird, ob jüdische Erben nicht früher, vor Ablauf der Fristen, die Bestände ihrer Familien hätten suchen und zurückfordern sollen, muss man angesichts dieser Ausstellung sagen: Wie hätten sie das machen sollen, solange Sammler und Museumsdirektoren Kunstwerke bewusst vor den früheren Eigentümern versteckten?
Auf Kunsthandel und Museen fällt dabei kein gutes Licht
Anhand von fünfzehn Beispielen werden die Geschichten von Kunstwerken, die nach 1933 ihren jüdischen Besitzern entzogen wurden, bis in die Gegenwart verfolgt. Karten zeichnen die Wege nach, die die Werke – darunter Lovis Corinths „Römische Campagna“, die Miniaturmöbelsammlung Carl von Weinbergs und Otto Muellers aus dem Besitz von Ismar Littmann stammendes Gemälde „Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Mädchen“ – genommen haben. Man sieht, wie die deutschen Museen sich 1939 bei den einkassierten Habseligkeiten jüdischer Familien, darunter Armreife von Kindern und Silbergeschirr, bedienten, um ihre Sammlungen aufzustocken; wie später die DDR-Behörden alle Restitutionsbegehren abschmetterten; wie der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ den größten Kunstraub der deutschen Geschichte bis zum Schluss minutiös organisierte: Noch am 31. Oktober 1944 beschäftigte sich ein Angestellter des Stabs damit, ein in Südfrankreich geraubtes Kunstwerk zu katalogisieren. „Herr Kroske von der Einsatzstelle in Nizza“, schreibt er, habe ein Werk von Auguste Renoir eingeliefert, man sehe darauf „eine junge Frau mit entblößter Brust. In dem schwarzen Haar eine Blume.“
Vor allem aber erfährt man, wie oft diejenigen, die für die Plünderungen und den Terror gegen Juden verantwortlich waren oder davon profitierten, nach 1945 ihre Geschäfte weiterbetreiben konnten. Auf Kunsthandel und Museen fällt dabei kein gutes Licht – gerade, was ihr Verhalten nach 1945 betrifft. Die Rothschild-Familie wurde nach Kriegsende vom Kunsthistorischen Museum Wien erpresst: Eine Ausfuhr der beim Anschluss geraubten Gemälde aus dem Besitz der Familie ins Ausland, wo Louis von Rothschild nach dem Krieg lebte, sei nur möglich, wenn die Familie dem Museum einige Werke, darunter zwei Arbeiten von Frans Hals, „widme“. Erst 1999 bekamen die Erben die dreist abgepressten Werke zurück.
So werden Bilder historisch durch Weglassung gereinigt
Die Berliner Ausstellung zeigt auch, dass die Entschädigungen, die nach 1945 von der Bundesrepublik an jüdische Eigentümer oder Hinterbliebene gezahlt wurden, kaum ernsthaft als solche bezeichnet werden können. Oft galten die Kunstwerke als verschollen und wurden pauschal als Teil des Hausrats abgegolten. Dabei waren sie oft gar nicht verschollen, sondern wurden von denen, die sie im Dritten Reich in ihren Besitz gebracht hatten, bewusst vor den früheren jüdischen Besitzern versteckt – die Geschichte des Silberstein-Porträts von Lovis Corinth ist ein Beispiel dafür.