Bild: $image.photoCredit
Gurlitt-Sammlung in Bern : Ein neuer Maßstab für Restitutionen
- -Aktualisiert am
Das Kunstmuseums Bern kündigt an, zwei Aquarelle von Otto Dix an die Erben des jüdischen Rechtsanwalts und Sammlers Ismar Littmann zurückzugeben. Das Besondere dabei ist die umsichtige Art des Vorgehens.
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet aus dem verflixten Gurlitt-Erbe ein Modell dafür wird, wie man verantwortlich mit NS-Raubkunst umgehen kann? Die am Freitag verkündete und ausführlich begründete Entscheidung des Kunstmuseums Bern, zwei Aquarelle von Otto Dix an die Erben des jüdischen Rechtsanwalts und Sammlers Ismar Littmann zurückzugeben, stellt tatsächlich solch ein Modell dar. Es ist nicht das erste Mal, dass Kunstwerke, die das nationalsozialistische Regime erpresste oder direkt entwendete und die dann in allen möglichen staatlichen Museen und privaten Sammlungen landeten, restituiert werden.
Und es ist auch nicht das erste Mal, dass Prinzipien für all die Fälle entwickelt werden, in denen sich die Provenienz der Werke nicht so lückenlos nachweisen lässt, wie das die Rückerstattungsgesetze in den meisten Ländern verlangen – wichtig sind da vor allem die „Washington Principles“ von 1998, die einen „gerechten und fairen“ Ausgleich mit den Anspruchstellern anmahnen. Doch neu und maßstabsetzend ist die offensive, umsichtige und systematische Art und Weise, mit der da nun eine Institution des Kunstbetriebs die Restitution nicht nur in Kauf nimmt, sondern zu ihrer ureigenen Sache erklärt.
Eine List der Geschichte mag dabei sein, dass dieses Exempel nicht zuerst an liebgewordenen eigenen Beständen statuiert wird, sondern an einer privaten Sammlung, die dem Kunstmuseum Bern völlig unerwartet zugefallen war. Cornelius Gurlitts Testament hatte 2014 die von seinem Vater, dem zeitweise in Diensten des „Führermuseums“ in Linz stehenden Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, ererbte, rund 1600 Werke umfassende Kunstsammlung für Bern bestimmt. In Deutschland war die durch die Steuerfahndung in Gurlitts Wohnung aufgespürte Sammlung zwei Jahre zuvor zum Politikum geworden. Der anfangs erweckte Eindruck, es handele sich ausschließlich oder überwiegend um Raubkunst, musste bald korrigiert werden. Doch der Aufklärung verdächtiger Besitzverhältnisse versetzte der spektakuläre Fall einen Schub; eine „Taskforce Schwabinger Kunstfund“ und ein „Projekt Provenienzrecherche Gurlitt“ nahmen ihre Arbeit auf.
Der jetzt von der Stiftung des Kunstmuseums Bern unter der Federführung von Marcel Brülhart herausgegebene Bericht beschäftigt sich nicht mehr mit den neun schon damals eindeutig als Raubkunst identifizierten Werken. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Frage, wie mit Uneindeutigkeit, mit „unvollständigen Erkenntnislagen“ umzugehen sei. Dass bei Rückgabeforderungen die Beweislast, wie vor Gericht üblich, beim Antragsteller liegt, könne für Zeiten des Kriegs und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht das ausschlaggebende Kriterium sein, weil dort Beweise und Belege oft vorsätzlich vernichtet werden. Deshalb hat sich das Museum für die Fälle, in denen eine Provenienz nicht lückenlos ist – es sind weitaus die meisten – zu einer weiteren Differenzierung entschlossen: Gibt es auffällige Begleitumstände oder Hinweise darauf, dass es sich um Raubkunst handeln könnte – oder gibt es solche Hinweise nicht? Im zweiten Fall behält das Museum die entsprechenden Werke, solange dazu keine neuen Erkenntnisse auftauchen (das sind 1091 aus der Gurlitt-Sammlung). Im ersten Fall (29 Werke) restituiert das Museum die Werke an die Erben der Eigentümer (wie die beiden Dix-Aquarelle jetzt), übergibt sie an die Bundesrepublik als Treuhänderin (5) oder behält sie vorläufig zur weiteren Forschung (22).
Das Besondere des Berner Vorgehens ist, dass die Grundsätzlichkeit der Analyse dort mit einer transparenten Dokumentation (ab jetzt auch über eine Onlinedatenbank einsehbar, im Herbst gibt es eine Ausstellung) und der Entschlossenheit der Institution zusammengeht, die verdächtigen Werke tatsächlich abzugeben. Schon vor der Veröffentlichung hat die Stiftung für die Restitution gestimmt, sodass, anders als etwa im Fall der Berliner Rückgabe des Kirchner-Gemäldes, kein nachträglicher Streit zu befürchten ist. Sogar die Betonung, dass jeder Fall für sich entschieden werden solle, scheint zum Berner Modell zu gehören – keine Institution soll Angst um ihre Souveränität haben müssen. Das neue Selbstverständnis soll sich auch auf die eigenen Bestände erstrecken: Bei drei Werken aus dem Fundus sucht das Museum nach Berechtigten. Deutsche Museen, in denen Raubkunst schlummert, werden auf den neuen Maßstab reagieren müssen.