Klassische Avantgarde : Ohne diese Frauen gibt es keine Moderne
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Einfühlung, die traute man den Frauen zu, weshalb sie mitunter als passable Porträtistinnen oder Stilllebenmalerinnen galten. Aber Abstraktion? Das war die Domäne der Männer, der Genies. Dagegen gehen die Kuratorinnen in Bielefeld an. Sie spannen den Bogen von Helene Funkes großformatigen Figurenbildnissen bis hin zu Ella Bergmann-Michels surrealen Abstraktionen, von Käthe Kollwitz oder Paula Modersohn-Becker bis in die Gegenwart zu den renommierten Malerinnen Karin Kneffel oder Leiko Ikemura. An diesem Rundumschlag ließe sich bemängeln, dass Frausein als Gemeinsamkeit allein noch nicht ausreicht, um alle diese Künstlerinnen in einer Ausstellung zu vereinen. Ist nicht jede ein Fall für sich, ein Individuum, mit einem sehr eigenen, einem unverwechselbaren Werk?
Viele Künstlerinnen sind unsichtbar geblieben
Wer das allerdings kritisiert, verkennt, dass sich auch diese Form der Zusammenschau noch immer lohnt, auch im Jahr 2015. In „Sarahs Gesetz“, Silvia Bovenschens Buch (F.A.Z. vom 14.August) über ihre Freundin, die Malerin Sarah Schumann, kommen beide auf die bahnbrechende Schau „Künstlerinnen International 1877–1977“ zu sprechen. Gezeigt wurde diese im Berliner Schloss Charlottenburg, Sarah Schumann gehörte zu den Organisatorinnen. Zum ersten Mal, so Bovenschen, habe sie im Original Werke von Sonia Delaunay, Frida Kahlo oder Maria Lassnig gesehen. Sie alle haben in der Zwischenzeit eindrucksvolle Retrospektiven erhalten.
Die Erfolge können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele andere Künstlerinnen unsichtbar geblieben sind und es des gleichen Engagements bedarf wie in den siebziger Jahren, um sie an die Öffentlichkeit zu bringen. Aus diesem Grund sind Überblicksschauen wie die in Bielefeld weiterhin unerlässlich. Zu entdecken gibt es dort etwa die Malerin Julie Wolfthorn, die 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt starb. Sie zählte zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession; die Kunsthistorikerin Heike Carstensen hat ihre Biographie verfasst. In kleineren Häusern wurden Wolfthorns Werke häufiger in den letzten Jahren gezeigt. Die Berlinische Galerie besitzt Bilder von ihr. Mit Bielefeld hat sie nun ihren nächsten Auftritt in einem überregionalen Haus.
Ohne sie wäre die Moderne nicht möglich gewesen
Die herausragende Leistung der Frankfurter Schau besteht jedoch in der Zuspitzung. Ihr Ergebnis heißt nicht nur: Seht her, diese Künstlerinnen gab es auch! Es lautet: Die Moderne wäre ohne diese Frauen nicht möglich gewesen. Das war der Grund, warum Herwarth Walden so viele von ihnen förderte. Nicht ihn müssen wir fragen, warum er das tat, sondern die anderen, seine Kollegen von damals wie heute, warum sie die Frauen draußengelassen haben.
Diese Erkenntnis macht die Konzentration auf die Sturm-Frauen möglich, der fokussierte Blick ins Epizentrum der deutschen Avantgarde. Die Schau zeigt es, und im Katalog lässt es sich nachlesen: Ohne Marianne von Werefkin, ohne ihre Malerei und die kunsttheoretischen Abhandlungen „Lettres à un Inconnu“, kein Kandinsky und kein „Blauer Reiter“. Ohne die Künstlerin Hilla von Rebay, die nach New York auswanderte und sich für die Abstraktion einsetzte, kein Solomon R.Guggenheim Museum. Es war Else Lasker-Schüler, die Walden, der eigentlich Georg Lewin hieß, zuerst „Goldwarth und dann „Herwarth“ nannte. Auch den Titel „Sturm“ erfand sie.
Die Großzügigkeit, mit der sich viele Künstlerinnen für das Werk von Freunden oder Ehemännern einsetzten, wurde ihnen selten gedankt. Mehr noch, es wurde ihnen von der Nachwelt als Mangel an Talent ausgelegt (darauf muss man erst einmal kommen). Eben diese Großzügigkeit aber teilte Walden mit den Künstlerinnen, die er um sich scharte – wie auch den Glauben und die Freude an Veränderungen. Historische Fotografien zeigen die Mitglieder des Sturm-Umfelds häufig kostümiert und inmitten von Kunst. Wie camoufliert bewegen sie sich in einer neuen Welt, die sie pausenlos selbst schaffen. Das Haus der Moderne ist ohne die Künstlerinnen eine Ruine.