KI-Kunst von Refik Anadol : Wenn Computer träumen
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Maschinell erzeugt, von Menschen betrachtet: Refik Anadols „Satellite Simulations: B, 2021“ in Düsseldorf Bild: Anne Orthen
Refik Anadol ist mit seinen monumentalen „Datenskulpturen“ der Star der KI-Kunst. Nun lassen sie sich auch in Düsseldorf bestaunen – und hinterfragen.
Es führt kein Weg daran vorbei: Bilder dieser Machart erobern unsere Lebenswelt. Nicht nur in Museen werden sie sich breitmachen, sondern auf allen denkbaren Oberflächen, die es zu gestalten gilt. Statt Menschengemachtem bringt sich auch dort das Schöpfungspotential sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) in Stellung: Der KI-Bildgenerator DALL-E2 macht es im Internet schon allen Interessierten mit digitalem Minimalwissen vor und lässt Kreative zittern.
Refik Anadol dagegen kann mehr als gelassen auf diese Umwälzungen blicken: Er reitet die Welle. Kein anderer spielt die visuelle Überwältigungsmacht von KI-Kreationen derzeit erfolgreicher aus als er. Mit seinen monumentalen „Datenskulpturen“ gehört der 1985 geborene türkisch-amerikanische Medienkünstler weltweit zu den Lieblingen der Ausstellungsmacher und des Publikums. Ob Windmessungen, Orchesteraufnahmen oder Fotos von Korallen, kein Datensatz ist vor ihm sicher. Mit Arbeiten für Techunternehmen wie Microsoft oder Google, Ausstellungen in Australiens National Gallery in Melbourne, dem Centre Pompidou in Paris oder dem Museum of Modern Art in New York, Galerienschauen bei König in Berlin oder Jeffrey Deitch in Los Angeles, der Präsentation einer Arbeit mit „olfaktorischer Komponente“ auf der Messe Art Dubai Anfang März und einer Korallenanimation oder dem Auftritt als Bühnendekorateur der jüngsten Grammy-Verleihungen scheint Anadol überall zu sein. Der Marktwert ist entsprechend: Für 1,38 Millionen Dollar wechselte voriges Jahr auf seiner Versteigerung als NFT bei Christie’s in New York eine Hommage Anadols an den Architekten Antoni Gaudí den Besitzer, die zuvor als Installation auf der Rockefeller Plaza zu sehen war.
Nun kann sich auch der Kunstpalast Düsseldorf mit einer Anadol-Schau schmücken. Der Effekt ist unmittelbar. Als eine Schulklasse den hallengroßen Ausstellungsraum betritt, in dem vom Boden bis zur Decke über einen höchstauflösenden Bildschirm fluide Formen in schönster abstrakter Scheinnatürlichkeit wabern, stehen Münder offen, werden Smartphones zum Foto gezückt und heißt es: „Wow.“ Mithilfe enormer Datenmassen, die zwei gegeneinander antretende künstliche neuronale Netzwerke – sogenannte GANs – mit kreativ offenem Ausgang algorithmisch zu neuen Daten verrechnen, hat Anadol seine eigene Bildsprache entwickelt: psychedelisch wirkende Animationen, „lebendige Gemälde“, die sich in einem Prozess der fortlaufenden Transformation befinden. Alles fließt in den Produktionen aus Anadols Studio in L. A. mit gut einem Dutzend Mitarbeitern.
Ausgestrahlt von monumentalen Videowänden, sollen die in Endlosschleife dargebotenen „Maschinen-Halluzinationen“ – die „Satelliten-Simulation B“ von 2021 etwa wiederholt einen Loop von sechzehn Minuten – ihren Betrachtern eine entgrenzte, „immersive“ Erfahrung bieten. In Düsseldorf kann man im „black cube“ der schwarz gestrichenen Ausstellungsräume fast wie in einem Kino in diese Bilderwelten eintauchen. Durch das Dunkel schweben dazu Klänge mystischer Synthetik-Symphonien mit Naturanleihen, wie man sie von Meditations-Apps kennen mag. Und tatsächlich bietet der Kunstpalast Yogakurse für Kinder oder Erwachsene in der Ausstellung an und spricht der Kurator Alain Bieber, Leiter des mit dem Kunstpalast vereinten NRW-Forums, von einer „fast spirituellen Erfahrung“. Das freilich sagt auch etwas über Spiritualität in Zeiten religionsbefreiter Achtsamkeitsübungen zur Pflege des eigenen Selbst.