Ein alter Trichter, ein Kronkorken: Für ihre fahrbaren Metallobjekte verwendet Birgit Borstelmann gebrauchtes Material. Bild: Birgit Borstelmann
Messe im Leipziger Museum : Grassi-Grazie
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Die Leipziger Grassimesse hat, um die Hygieneabstände groß genug zu halten, einige der Kunsthandwerk-Stände in die Dauerausstellung des Museums integriert. Das Ergebnis sind schönste Korrespondenzen.
Die drei Damen im Entrée zur Dauerausstellung des Leipziger Grassi-Museums für angewandte Kunst tragen keine Schuhe. Das haben sie Robert Metzges zu verdanken, der sie aus Terrakotta so schuf: lebensgroß, illusionistisch in bunte Stoffe gehüllt, aber eben barfüßig. Nun wird neben ihnen feinstes Schuhwerk feilgeboten. Verkaufen im Museum? Ja, denn 1920 wollte der damalige Direktor Richard Graul mit der Etablierung der jährlichen Grassimesse die allgemeine Geschmacksbildung fördern. Und in der Nachkriegskrisenzeit den Kunsthandwerkern eine Absatzmöglichkeit bieten.
Zum hundertjährigen Bestehen der Grassimesse ist das Kunsthandwerk nun wieder in der Krise, im Frühjahr fielen wegen der Corona-Pandemie alle Verkaufsmessen aus, nun droht pünktlich zum Weihnachtsgeschäft dasselbe. Dass die Grassimesse an diesem Wochenende überhaupt stattfindet, ist für die Aussteller ein Segen. Und für die Besucher ein noch größerer Genuss als üblich, denn um die Hygieneabstände groß genug zu halten, hat man ein Dutzend der rund sechzig Stände kurzerhand in die Dauerausstellung integriert. Und so verkauft nun Claudia Opitz formschöne Frauenschuhe neben der Terrakottagruppe von Metzges – als sollte den Plastiken ermöglicht werden, sich winterfest zu machen.
Solche inhaltlichen Bezüge zwischen Museumsobjekten und Handelsware gibt es viele. Da hat etwa der litauische Gestalter Antanas Gerlikas siebzehn Glasobjekte vor einem spätgotischen Schnitzaltar aufgestellt, und dessen goldenes Dekor bietet einen grandiosen Hintergrund für die filigranen Gebilde. Zwei Säle weiter steht die Keramikerin Susann Heise mit ihren strengen Porzellangefäßen mitten im Glasvitrinengeviert für die farblich überbordenden Renaissance-Majoliken, und vor einer frühbarocken niederländischen Predigerkanzel hat der italienische Schnitzer Lorenzo Franceschinis seine dünnwandigen Holzgefäße arrangiert: wie zu einer Chorschranke.
Ein Türke aus Hafnerkeramik, der zu jener Zeit als Ofenaufsatz gefertigt wurde, als auch der berühmte Schachtürken-Automat in Westeuropa Furore machte, schaut vom Wandsockel herab auf die zauberhaften beweglichen Upcycling-Metallfiguren von Birgit Borstelmann, und mitten im Saal mit barockem Hausrat hat der Tischler Patrick Gülzow seine einem DDR-Plattenbau nachgebildete Schrankwand hingesetzt. Vor historischem Tafelgeschirr zeigt Gabi Veit aus Südtirol ihre passend zu alten Bestecketuis nachgebildeten Silberlöffel, und der diesjährige Hauptpreisgewinner der Grassimesse, Martin Wilmes aus Bremen, hat für seine vielfach verschachtelten Schubladenschränke einen sächsischen Salon als klassizistische Kulisse bekommen.
Die Grassimesse wurde also diesmal nicht nur bei der Auswahl der Teilnehmer kuratiert, sondern auch bei deren Plazierung. So wird neues Kunsthandwerk in der Wahrnehmung zu Museumskunst, hoffentlich wird diese Not- in besseren Zeiten zur Dauerlösung. Die Aussteller aus all den Ländern sagen Danke, Thank you, Merci, Ačiu oder Grazie, Grassi! Für diese Grazie.