John Sanborn im ZKM : Videokunst im Beat des Lebens
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Tanzen, solange es geht: Sanborns mehrteiliger Arbeit „Evanescence“ von 2015 thematisiert die menschliche Vergänglichkeit. Bild: Felix Grünschloß/ZKM
Das ZKM in Karlsruhe widmet dem amerikanischen Videokünstler John Sanborn eine Retrospektive. Sie zeigt ihn als Pionier und Meister vieler Klassen, den nun existenzielle Fragen umtreiben.
Schlag um Schlag geht ein Musiker auf New York City los. Mit seinen Drumsticks entlockt er Asphalt und Mauern, Telefonzellen und Jalousien, Laternenpfählen und Mülltonnen einen Beat, den er im Alleingang durch Manhattan improvisiert. Schläft ein Lied in allen Dingen: Es hat etwas taugenichtshaft Romantisches, was der amerikanische Videokünstler John Sanborn 1982 in „Ear to the Ground“ mit dem Percussionisten und Komponisten David Van Tighem vor der Kamera inszeniert hat. Am Ende des von Kit Fitzgerald mitproduzierten Kurzfilms hüpft der Klangkünstler durch eine menschenleere Straße in den Sonnenuntergang. Heiter und im besten Sinne simpel wirkt diese Street-Art-Performance im Rückblick, eine tänzerische Epiphanie im Vertrauen darauf, dem eigenen Rhythmus folgen zu können.
Digital restauriert, eröffnet das viereinhalbminütige Einkanalvideo im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) eine Sanborn-Retrospektive, die mit von 1978 bis 2022 entstandenen Werken in seiner bisher größten europäischen Einzelausstellung einen Pionier würdigt – und einen Wanderer zwischen den Welten von Kunst und Kommerz. So im Einklang mit dem Zeitgeist war „Ear to the Ground“ bei seiner Entstehung, dass Sony bei Sanborn anklopfte und fragte, ob das Video nicht eine großartige Vorlage für einen Spot zur Bewerbung des Walkmans sei.
John Sanborn, geboren 1954 in Huntington im Bundesstaat New York, war Grenzgängen, Auftragsarbeiten oder künstlerischen Kooperationen nie abgeneigt. Er wollte, bekennt er, immer dort sein, wo das Publikum ist. Von experimenteller Videokunst über MTV-Videos etwa für Grace Jones, von Tätigkeiten für Apple und Adobe bis hin zu Oper oder einer interaktiven Bewegtbildinstallation in Virtual Reality (VR) reicht das Spektrum seines Schaffens. In diesem spiegeln sich die medialen Umwälzungen der vergangenen Jahrzehnte: Alles Analoge, das Bauhaus-Experimentalfilmer noch hätten nachvollziehen können, wich digitalen Techniken, lineare Ausstrahlungen oder Live-Übertragungen dem Streaming.
Heute ist jeder ein Videokünstler; Youtube und Tiktok machen es möglich. Die medial verstärkte Umlenkung der Aufmerksamkeit auf das eigene Ich, der massenweise individuell kultivierte Perspektivismus, ist auch bei Sanborn nachvollziehbar. Waren die frühen Arbeiten noch dominiert vom Ehrgeiz, technische Möglichkeiten auszureizen, um Bild und Ton – häufig Musik – zur Kollision zu bringen, befasst sich Sanborn gegenwärtig mit den ubiquitären Fragen nach kultureller Identität und Narrativen des Selbst. Zunehmend gerät angesichts der globalen Krisen und des eigenen Älterwerdens auch die Zerbrechlichkeit des Daseins in den Blick.
Immer da, wo das Publikum ist
Alles fing 1974 an. Damals besuchte Sanborn in Paris eine der ersten großen Videokunstausstellungen und entdeckte seine künstlerische Berufung. Nam June Paik wurde sein Lehrer, Mentor und Freund. Eine wichtige Etappe in Sanborns Karriere war 1980 die Gelegenheit, bei den Olympischen Winterspielen in Montreal Pausenfüller für die Fernsehübertragung zu schaffen. Er gehörte zu den ersten Videokünstlern, die mit MTV auf Sendung gingen und entwickelte eine Video-Lounge für einen Nachtclub.