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Fotograf Joel Meyerowitz : Caspar David Friedrich und die Imbissbude

New York City, 1975 Bild: Joel Meyerowitz

Er brachte New York zum Leuchten: Der amerikanischer Straßenfotograf und Farbmagier Joel Meyerowitz hat überall Liebreiz, Anmut, Harmonie entdeckt. Heute wird er achtzig Jahre alt.

          3 Min.

          Joel Meyerowitz war Art Director einer Werbeagentur, als er für ein Editorial einen Fotografen begleiten sollte. Einen Nachmittag lang beobachtete der zwei Teenager in ihrer Freizeit, und Meyerowitz wiederum beobachtete ihn. Ganz gebannt sei er gewesen von dessen Art, sich geradezu tänzerisch um die Mädchen zu bewegen und zugleich den Eindruck zu vermitteln, gar nicht anwesend zu sein. Von „Erweckungserlebnis“ sprach Meyerowitz später, denn augenblicklich sei ihm klargeworden, dass auch er Fotograf werden wolle. Er kündigte noch am selben Tag. Das war 1962. Begleitet hatte er Robert Frank, aber das sagte ihm nichts, obwohl dessen epochemachendes Buch „Die Amerikaner“ bereits vier Jahre zuvor erschienen war.

          Freddy Langer
          Redakteur im Feuilleton, zuständig für das „Reiseblatt“.

          Seine Bilder nahm Meyerowitz zunächst in New Yorks Straßen auf. Mit einer Leica um den Hals machte er sich jeden Tag auf den Weg, oft gemeinsam mit Lee Friedlander, Garry Winogrand oder Tod Papageorge, die heute zu den Großen der amerikanischen Fotografie zählen. Dabei war es ihnen nie um Reportagen des Alltags auf der Straße zu tun, vielmehr sahen sie im Trubel der Passanten ihre eigenen Gefühle und Ansichten gespiegelt. Ihre Schnappschüsse bezeichneten sie bisweilen als Selbstporträts – manche grüblerisch, manche melancholisch, manche tragisch. Nur Joel Meyerowitz’ Bilder waren trotz ihrer äußerst komplexen Kompositionen stets geprägt von Komik, einem subtilen Humor, mit dem er dem Leben und den Menschen den Ernst nahm, ohne je in Häme abzugleiten. Schon 1968 richtete ihm das Museum of Modern Art mit seinen Schwarzweißfotografien eine Ausstellung aus.

          Erst die Farbe sollte ihn berühmt machen

          Aber erst die Farbe sollte ihn berühmt machen. Aus Lust an etwas Neuem hatte sich Meyerowitz in den siebziger Jahren eine Großbildkamera gekauft, mit der er im Urlaub auf Cape Cod eher spielte als experimentierte. Vor allem zwischen Sonnenuntergang und Nacht schulterte er das schwere Gerät samt Stativ und bannte am Strand, an Pools oder mit der Neonwerbung einer Imbissbude Momente, die umweglos zurückführten in die Welt der Romantik und dennoch von radikaler Modernität zeugten: Himmel und Wasser auf Farbschlieren reduziert, Straßenbeleuchtungen wie Erscheinungen am Firmament und stets diese Stimmung, in der sich kaum merklich das Wilde und Unheimliche der Dunkelheit heranschleicht. „Inner Light“ nannte das Boston Museum of Fine Arts eine Präsentation dieser Aufnahmen, die man heute zu den Geburtshelfern jener Bewegung zählen darf, die viel zu brav „The New Color Photography“ genannt wurde, weil der Begriff nichts von der Radikalität dieses Ansatzes erkennen lässt.

          New York, 1963 Bilderstrecke
          New York, 1963 :

          Farbfotografie sei vulgär, war damals das gern genutzte Zitat von Walker Evans, um einer neuen Generation von Fotografen wie William Eggleston und Joel Sternfeld, Stephen Shore eben Joel Meyerowitz den Weg in die Museen zu versperren. Erst als sie in John Szarkowski, dem fotografischen Leiter am Moma, ihren größten Fürsprecher fand, veränderte diese Bewegung nicht nur die Fotografie selbst, sondern auch den Blick auf Amerika. Mit der Farbe brach die reine Schönheit hemmungslos in die Kunstfotografie ein. Kein Gegenstand und keine Straßenecke waren zu banal, wenn nur die Farben wie von innen leuchteten. Alles war fortan von einem magischen Glanz überzogen. Joel Meyerowitz trieb diese Ästhetik nicht nur zu einem Höhepunkt, er war auch ihr Hohepriester, in dem er immer wieder medientaugliche Erklärungen für seine Arbeit lieferte. „Die Welt ist reicher an Motiven als mein Geist“, sagte er dann. Oder: „Ich bin eine Stimmgabel, die von den Motiven angeschlagen wird.“ Von dort aus war es nicht mehr weit bis zu Novalis und Caspar David Friedrich.

          Liebreiz, Anmut, Harmonie entdeckte Meyerowitz fortan überall, wie seine zahlreichen Serien belegen und wie noch bis zum 11. März in einer umfassenden Retrospektive seines Werks bei c/o Berlin zu sehen ist: von den Konterfeis rothaariger Mädchen bis zum Bogen von St. Louis, von Stillleben mit Schrott im Stile Morandis bis zu den Hügeln der Toskana, zwischen denen er mittlerweile zu Hause ist. Nur einmal saß der Schock zu tief. Als er vom September 2001 an als einziger Fotograf für fast ein Jahr die Aufräumarbeiten am Ground Zero dokumentierte – mit dem völligen Verzicht auf Farbeffekte oder verwegene Perspektiven leistete Joel Meyerowitz mit Demut und Respekt gegenüber den Toten wie den vielen Helfern zwischen all dem Schutt Trauerarbeit für eine ganze Nation. Heute wird er achtzig Jahre alt.

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