Gregor Schneiders Skulptur : Saubere Folter in Guantánamo
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Die „High Security Cells“ aus „Camp V“ in Guantánamo Bay haben ihn zu dieser Skulptur inspiriert. Zum Probesitzen jedoch taugt sie nicht. Im Düsseldorfer K21 lehrt der Künstler Gregor Schneider das Grauen des Gefangenseins.
Allein steht man im engen Flur, im Rücken das schwere Brandschutztor. Linoleum dämpft den Schritt, weißgeschäumte Pyramiden-Noppen isolieren die Decke. Der Ausgang am Ende des Gangs ist fest verschlossen, versperrt auch die meisten der dunkelrot lackierten Schiebetüren mit den opak schimmernden Sichtfenstern - wo sie beiseite gleiten, öffnen sich nur weitere Zellen. Ihr Interieur ist fest eingebaut, dunkelgrüne Kunstledermatten und verchromte Wasch-Toilettenmöbel, und es riecht nach Ausdünstungen von Farbe und Gummi. Der Weg führt durch enge Schleusen, vorbei an PVC-verhängten Eingängen, Doppeltüren und Gittern - ein stumpfes Labyrinth. Gleißende Scheinwerfer heizen einen Zinkblech-Kubus auf, der angrenzende Kühlraum ist fast dunkel.
Man glaubt diese Räume zu kennen, erinnert sich an halbbetäubte Fahrten durch Klinikflure, ruhiggestellte Träume unter Operationslampen, narkotisierende Wartesäle - ein Zustand, in dem die Architektur nur noch als scharfe Begrenzung für die schwimmende, aufgelöste Wahrnehmung existiert, indem die Wände in das Selbst hineinragen. Im Innersten ist es hier schwarz und still.
Ein toter Ort, das fühlbare Nichts
Gregor Schneider hat für seine Ausstellung „Weisse Folter“ im K21 in Düsseldorf in den Innenkubus der Wechsel-Ausstellungshalle, einen mit schwarzgeschäumten Kunststoffplatten ausgekleideten Raum, drei Wände eingezogen, tiefdunkel und schallschluckend - ein toter Ort, das fühlbare Nichts. Die Ausstellungsarchitektur hat den Saal verschluckt. Es ist eine klinisch saubere Installation, die nur entfernt an das von Schneider in jahrzehntelanger Arbeit umgebaute Elternhaus „Haus ur“ in Rheydt erinnert.
Julian Heynen, der Direktor des K21, der die Ausstellung gemeinsam mit Brigitte Kölle kuratiert hat, sagt, nachdem der Künstler das „Haus ur“ von Rheydt nach Venedig versetzte - und für den Deutschen Pavillon mit dem Goldenen Löwen geehrt wurde -, sei dieses Lebenswerk „aus sich herausgetreten“, damals habe sich „die Bewegungsrichtung gleichsam umgestülpt“, und seither befinde sich Gregor Schneider in ständigem Sog, „die eigene Existenz in sich und in Relation zur Außenwelt zu befragen und sich so beider zu versichern“.
Kein Probesitzen in „Camp V“
Gregor Schneider, 1969 geboren, hat schon als Jugendlicher tote Räume konstruiert, ein isoliertes Gästezimmer, luftdicht verschließbare Körperkisten, versteckte Kammern. Im Öffentlichen und Halbprivaten sucht und findet er seine negativen und verleugneten Orte, Tabuzonen der Gesellschaft: Im Londoner East End entstanden mit „Die Familie Schneider“ gespiegelte, von Zwillingswesen bewohnte Doppelhäuser; in Bremen inszenierte er den Kinderstrich. Für den Markusplatz in Venedig entwarf er im Jahr 2005 einen schwarzen, an die Kaaba angelehnten Kubus, der nicht gebaut werden durfte, auch in Berlin nicht. In Hamburg soll die „Hommage an Malewitsch“ unter dem Titel „Das schwarze Quadrat“ am 23. März eröffnet werden.
Vor zwei Jahren entdeckte Schneider im Internet Aufnahmen der „High Security Cells“ aus „Camp V“ in Guantánamo Bay, die hochfunktionalen, auf alles Pathos verzichtenden Bauten des Sicherheitstraktes der Amerikaner, und begann, diese winzigen, virtuellen Fundstücke wieder zu verräumlichen. Seine Installation „Weisse Folter“ versucht, Leiden nicht zum Symbol umzuschmelzen, anders als beispielsweise die Form des Kreuzes, sondern ein Bewusstsein zu schaffen für die sogenannte saubere, „weiße Folter“, die spurenlos die Psyche verwundet. Andererseits versteht Schneider, was er aufgebaut hat, nicht als Simulation von Guantánamo. Seine Kunst soll nicht zum Probesitzen in „Camp V“ einladen.
Ein blinder Fleck unserer Wahrnehmung
Dass Gregor Schneider das Grauen nicht wirkungsmächtig aufblähen wollte, lässt sich daran ablesen, dass er nur die Hälfte der Ausstellungsfläche nutzt. Die Zelle bedroht nicht als absolute Größe; sie ist eine isolierte, abgeschlossene Einheit, eine „Unit“, die man bedarfsweise reihen und stapeln kann, wodurch sie ein potentiell unbegrenzt großes Gebäude wird. Dieser architektonische Auswuchs findet seinen Schwerpunkt dann im schwarzen, stillen Saal „Camera Silens“: Dieser schweigende Raum setzt die menschlichen Sinne außer Kraft und produziert physische und psychische Zerrüttung.
Zudem hat Schneider - dessen „Haus u r“ mit Authentizität geradezu getränkt schien - diesem Einbau nachdrücklich etwas kulissenhaftes verliehen: Die Türen sind leicht, die Wände dünn. Die Details sind weniger Beweisstücke für eine Realität in Guantánamo als Hinweise für unser Denken: ein offenes Rohr über einem vergitterten Loch, verdunkelte Spiegel, ein minzgrün lackiertes Sicherheitsgitter mit Öffnungen in Hand und Fußhöhe und ein Pfeil, der mit schablonierter Genauigkeit auf den Boden gemalt nach Osten Richtung Mekka zeigt. Angeblich findet er sich in jeder der Zellen auf Guantánamo und hilft den Gefangenen, ihren Gebeten die richtige Richtung zu geben. Kleine Griffmulden aus Edelstahl, die auf der Innenseite der Schiebetüren angebracht sind und hellgrüne Notausgang-Leuchten, die auf die Möglichkeit verweisen, jederzeit den Rundgang durch die Installation zu beenden, zeugen von der Zurückhaltung, mit der Schneider bei dieser Installation operiert: Diese Skulptur ist kein Schicksal, sondern freiwillige Erfahrung.
„Camp V“ ist keine Terra Incognita; es ist ein blinder Fleck unserer Wahrnehmung. Schneiders schwarzer, von ein paar Gängen umfangener Raum mit dem Titel „Weisse Folter“ ist weniger eine Skulptur, denn Sockel für den Zustand unserer Zivilisation.