DDR/BRD-Ausstellung in Dresden : In zwei Ländern vor unserer Zeit
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Alternative gegen Deutschland: Das Dresdner Albertinum erinnert an die Subkultur der achtziger Jahre in Ost und West, als Kritik am Establishment noch witzig und präzise war.
Wer denkt, dass die Bundesrepublik schon immer das liberale, lockere, weltoffene Land war, das wir heute kennen, während in der DDR bis zu ihrem Ende verstockte und verängstigte Spießer saßen, die sich in ihrem von Partei und Stasi genormten Leben eingerichtet hatten, sollte unbedingt nach Dresden fahren. Denn wie verblüffend ähnlich sich die Mehrheitsgesellschaften in Ost- und Westdeutschland bis zum Mauerfall dann doch waren, wird einem ausgerechnet anhand der sich in den achtziger Jahren rasant entwickelnden alternativen Künstlerszenen in beiden Staaten klar, denen das Dresdner Albertinum jetzt eine eigene Ausstellung widmet.
Ihr Titel „Geniale Dilletanten“, bewusst mit zwei L und ohne Doppel-T geschrieben, wurde seinerzeit zwar nur im Westen verwendet, der Begriff schwappte aber auch durch die Mauer in die DDR, wodurch sich subkulturelle Aktivisten dort in ihrem Tun bestätigt sahen. Die Gründe für das Aufkommen der Szene glichen sich in Ost und West: Es war eine bleierne Zeit, in der Bundesrepublik mit Nachrüstung, vermeintlichem Waldsterben und Helmut Kohls „geistig-moralischer Wende“, der man kulturell mit Nicole und „Ein bisschen Frieden“ begegnete. In der DDR wiederum zerstob nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns die Hoffnung auf Veränderung, Honecker schien noch ewig zu regieren und ließ das Volk mit einem „Kessel Buntes“ bei Laune halten.
Sehnsucht nach Tabuverletzungen
Da ist es kein Wunder, dass gerade junge Leute unter diesen Umständen ausrasteten. Sie sahen sich – in Ost und West – einer überwiegend kleinbürgerlich-spießigen Mehrheit und einem weitgehend konformen Kunstbetrieb gegenüber. „Es war eine repressive, reaktionäre Gesellschaft“, berichtet einer der West-Protagonisten in der Ausstellung. Man habe Sehnsucht gehabt nach „Tabuverletzungen“ und „Rebellion“. Nicht anders erging es den Altersgenossen im Osten, wobei sich deren Rebellentum automatisch auch immer gegen den Staat richtete. „Das verbindende Element, der Feind, war die Diktatur des Proletariats, also die Diktatur der Erniedrigten und Beleidigten“, sagt Tohm di Roes, damals Texter und Sänger der Ost-Berliner Band „Klick & Aus“, im Interview.
Wie hier manifestierte sich das gewollte Anderssein schon in verrückten, bisweilen idiotischen Künstler- und Bandnamen: Im Westen hießen sie „Einstürzende Neubauten“, „Die Tödliche Doris“, „Deutsch Amerikanische Freundschaft“ (DAF) oder „Freiwillige Selbstkontrolle“ (F.S.K.) mit ihrem griffigen Motto „Heute Disco, morgen Umsturz, übermorgen Landpartie“. Im Osten nannten sie sich „Die Strafe“, „Ornament und Verbrechen“, „Kartoffelschälmaschine“ oder einfach „Pfff“. Gemeinsames oberstes Ziel war es, sich gegen gängige Kunst- und Kulturnormierungen und vor allem gegen gesellschaftliche Erwartungen zu stellen. Heraus kam dabei eine überaus vitale alternative Szene aus Musikern, Fotografen, Schriftstellern, Tänzern, Malern und Lebenskünstlern, deren Schaffen die Ausstellung auf eine erfrischende Weise würdigt.
Zu sehen sind Grafiken, Gemälde, Plakate, Fotos, Videos, Magazine und Hörstationen sowie in der Abteilung Ost auch Musikinstrumente der Marke Eigenbau – etwa ein aus einem Auspuff des heutigen Kult-Mopeds „Schwalbe“ gebasteltes Saxophon, ein zu einer Klarinette umfunktionierter Gartenschlauch oder ein mit Plastebausteinen gefüllter Spülmittelkanister, der als Rassel diente. Das musikalische Spektrum bewegte sich zwischen Free Style, Free und Anarcho Jazz, Noise, Punk und Elektro; das künstlerische Schaffen war geprägt von wilden Gesten, subtilen innerkünstlerischen Erkundungen und bisweilen infernalischen Auftritten. Solides Handwerk war eher Nebensache, es ging vor allem ums Laut- und ums Anderssein. Der 1990 verstorbene Ost-Berliner Aktionskünstler Matthias Baader Holst dichtete treffend: „wir soffen und rauchten und waren unglücklich / unsere kinder zeugten wir stets im stehn / immer zwischen 7 und 10 / so vergingen unsere tage / wer an etwas glaubte wurde erschossen.“
Gegen Ideologiemüll und Diktatorengebrüll
Während sich die westdeutsche Szene meist im Umfeld von Kunsthochschulen entwickelte und ihre Protagonisten über offizielle Auftritte sowie Tonträger und Medien bekannt wurden – etwa mit dem gemeinsamen Konzert „Geniale Dilletanten“ 1981 im Berliner Tempodrom –, blieb die ostdeutsche Szene zwangsläufig im Untergrund. Dennoch gelang es den Subversiven in der DDR, im Sommer 1985 in einem alten Ballsaal in Coswig bei Dresden ein eigenes zweitägiges Festival auf die Beine zu stellen. Das „Intermedia I“ mit mehr als 1000 Teilnehmern galt als wegweisend für die Szene. Zugleich war es eine ihrer wenigen Veranstaltungen in der DDR, bei der auch alternative Künstler aus der Bundesrepublik teilnahmen.
„Im Publikum amüsierten sich Kader des Dresdner Künstlerverbandes ebenso mit Untergrund-Poeten aus Ost und West“, schreibt Christoph Tannert, einer der Kuratoren der Ausstellung, der damals dabei war. „Rohe Energie powerte den volkseigenen Alltagsfrust heraus, und der Saal kochte.“ Tannert verfasste auch die bisweilen herrlich ironischen Ausstellungs- und Katalogtexte zur Szene Ost, etwa über den Auftritt der „Gruppe Pfff“ und ihres Frontmanns Hans J. Schulze in Coswig: „Maschinengeräusche und ein wüstes Hämmern auf Eisenteilen fraßen sich in die Sinne, ob man wollte oder nicht. Schulze pflückte den Ideologiemüll aus dem ‚Neuen Deutschland‘, indem er die Artikelüberschriften deklamierte, erst im Tonfall der Nachrichtensprecher, dann zunehmend aggressiv bis zur Verausgabung in Diktatorengebrüll, was natürlich einzig und allein der Überwältigung und Verohnmächtigung der Stasi-Spitzel im Publikum dienen sollte. Aber die waren härter drauf als gedacht und nahmen Schulze, nachdem er von der Bühne gefallen war, einfach mit.“
Ehemaliger Osten, ehemaliger Westen
Die Konsequenzen des Rebellentums sind damit klar: Während Bands im Westen schon mal Plattenverträge erhielten und wie „DAF“ oder „Einstürzende Neubauten“ erfolgreich wurden und bis heute bekannt sind, landeten sie im Osten im Zweifel im Knast. Zwar habe der fehlende kommerzielle Druck auch die künstlerische Freiheit befördert, erzählt Jürgen „Chaos“ Gutjahr, damals Sänger der Leipziger Punk-Band „Wutanfall“, im Interview. „Aber es war ein Leben mit dem Rücken zur Wand.“ Wer einmal „draußen“ gewesen sei, habe nie wieder einen Fuß auf den Boden bekommen. Gutjahr etwa wurde mehrfach von der Stasi abgeholt und schon mal siebzehn Stunden am Stück verhört. Er verließ unter Druck seine Band, während andere Protagonisten der Szene auch in den Westen abgeschoben wurden oder ausreisten.
Es ist ein großes Glück, dass und wie sich die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden dieses Themas angenommen und die ursprünglich vom Goethe-Institut konzipierte Ausstellung zur westdeutschen alternativen Szene um die ostdeutsche Subkultur erweitert haben. Herausgekommen ist eine Hommage an eine Szene, die sich mit den Verhältnissen – ob durch staatlichen Zwang oder gesellschaftlichen Druck – nicht länger abfinden wollte. Am Ende dieser Ausstellung wird einem klar, dass man heute nicht mehr nur von der „ehemaligen DDR“, sondern auch von der „ehemaligen Bundesrepublik“ sprechen muss. Das Deutschland, wie wir es heute kennen, hat mit diesen beiden längst vergangenen Staaten nicht mehr viel gemeinsam.