Ausstellung zu 1870/71 : Als Preußen Straßburg bombardierte
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Ein Krieg schuf das wilhelminische Kaiserreich: Das Militärhistorische Museum in Dresden zeigt den deutsch- französischen Waffengang von 1870/71 als Weichenstellung der europäischen Geschichte.
Auf der Übersichtskarte zum Deutsch-Französischen Krieg, die das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden angefertigt hat, sind zahlreiche blaue und lila Pfeile zu sehen. Die meisten von ihnen weisen nach Westen, viele aber auch in die Gegenrichtung, einige gehen vor und wieder zurück, andere ballen sich um befestigte Städte: Straßburg, Metz, Sedan, Verdun, Paris, Belfort. Ein leicht verständlicher Plan sieht anders aus. Aber der Krieg, das begreift man anhand dieser Karte sofort, lässt sich eben nicht auf einem Blatt abbilden, er war kein Planspiel, sondern ein Drama in mehreren Akten, ein Kampf der Heere, aber auch ein Volkskrieg. Als er im Februar 1871 militärisch vorbei war, ging er geschichtspolitisch weiter, als Duell der Bilder und Erinnerungen, bevor er ab 1914 ein weiteres Mal bewaffnet ausgetragen wurde.
Ein Salvengeschütz und viele Bierhumpen
Wie stellt man das aus? Das Militärhistorische Museum hat sich für die konventionelle Lösung mit Vitrinengängen und chronologisch gehängten Gemälden entschieden, aber auch für einen Appendix, einen zweiten Schauplatz, an dem die Museumsdidaktik sozusagen verjazzt wird und die Exponate zur freien geistigen Benutzung durch die Besucher im Raum verteilt sind. Das hat den Vorteil, dass man beide Spielarten der Geschichtserzählung im Museum unvermischt und nacheinander erleben kann: die erklärende und die andeutende, die auktoriale und die verspielte. Jede der beiden hat ihre Vorzüge, und jede formt den Gegenstand, das historische Thema, auf ihre Weise: die eine, indem sie ihn mit Objekten ausbuchstabiert, die andere, indem sie ihn mit Hilfe der Objekte atmosphärisch beschwört.
Und so stehen sich im zweiten, freier gestalteten Teil der Ausstellung ein französisches Salvengeschütz von 1867, zwei deutsche Maschinengewehre aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, eine Sammlung patriotischer Bierhumpen, Erinnerungsfotos einer Kölner Artillerieeinheit, schwarzweiße Reproduktionen eines sächsischen Schlachtenpanoramas und mehrere Schaukästen zum Frauenwahlrecht, zum Kulturkampf zwischen Bismarck und der katholischen Kirche und zu den Sozialistengesetzen in unruhiger Konstellation gegenüber. Was wird hier gezeigt, was soll man erkennen? Vor allem dies: dass ein Krieg im Brennpunkt von Entwicklungen steht, die er zugleich abbildet und beschleunigt; dass er, wenn nicht der „Vater aller Dinge“, doch zumindest deren Katalysator ist. Im Fall des Deutsch-Französischen Krieges waren dies neben dem militärischen Fortschritt, der sich in Chassepot- und Zündnadelgewehren, Mitrailleusen und Krupp’schen Gussstahlkanonen niederschlug, die deutsche Reichseinigung und die Gründung des Deutschen Kaiserreichs am 18. Januar 1871.
Das Kaiserreich ist den deutschen Museen peinlich
Diese Gründung wird im laufenden Jahr – und, so weit man sehen kann, auch im kommenden – von den deutschen Geschichtsmuseen mit keiner einzigen Ausstellung gewürdigt. Dieses Versäumnis mag Besucher aus anderen europäischen Nationen erstaunen, ist aber leicht zu erklären, wenn man an die Rolle des Kaiserreichs im hiesigen historischen Gedächtnis denkt. Der alten Bundesrepublik war das Reich peinlich, weil es in den Ersten Weltkrieg mündete. Dem wiedervereinigten Deutschland ist es noch peinlicher, weil es für eine Variante des Preußentums steht, die man aus dem postmodernen, aus Humboldt, Schinkel und Fontane zusammengesetzten Preußenbild gerne heraushalten möchte.
In der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin nimmt das Kaiserreich dementsprechend zwar breiten Raum ein, wird aber mehr als Nebeneinander von bürgerlichen und proletarischen Lebenswelten und Bühne der Industrialisierung gezeigt denn als dynamisches politisches Gebilde. Seine Verfassungsgeschichte, seine komplizierte föderale Struktur und sein zwischen Weltmachtphantasien und Chauvinismus zerrissenes Selbstbild treten dagegen in den Hintergrund. Man liest darüber gern bei Wehler und Winkler, traut sich aber nicht, den Geist von damals in öffentlichen Museen aus der Flasche zu lassen.