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Entdeckung einer großen Künstlerin : Das Lachen der Carmen Herrera

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Geboren wurde sie 1915 auf Kuba, zum Star in der Malerei ist sie jetzt mit vierundneunzig Jahren geworden: Die Pfalzgalerie in Kaiserslautern zeigt die erste deutsche Ausstellung der New Yorker Künstlerin Carmen Herrera.

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          Diese Geschichte hätte ganz leicht eine traurige werden können, denn die Kurzversion lautet so: Mitten in New York lebt und arbeitet eine 1915 auf Kuba geborene Künstlerin. Sie malt, sie malt viel, und sie malt gut. Jahre gehen ins Land, Jahrzehnte, schließlich fast ein Jahrhundert, aber niemand nimmt von ihr Kenntnis. New York, die angeblich lebendigste Kunstmetropole der Welt, will von dieser Frau nichts wissen. New York sieht weg und schweigt.

          Zum Glück ist es ein bisschen anders gekommen, wenn auch die Tatsache, dass Carmen Herrera im Alter von vierundneunzig Jahren plötzlich zum Malerstar aufsteigt und sie die „New York Times“ kürzlich als „the hot new thing in painting“ bezeichnete, allein noch nicht Grund genug ist, um von einer glücklichen Wendung zu sprechen. Es gibt die Anekdote, die von einer Vernissage im vergangenen Jahr erzählt wird, als Tony Bechara, ein Freund der Künstlerin, einen Toast auf sie sprach und ein lateinamerikanisches Sprichwort anführte: „Der Bus kommt immer - man muss nur lange genug darauf warten.“ Und Carmen Herrera antwortete: „Nun, ich habe vierundneunzig Jahre an der Haltestelle gesessen.“

          Gemeinheit oder Genugtuung?

          Man kann sich leicht vorstellen, wie so etwas bitter klingen kann, und andere züchten in einem derart langen Zeitraum des Nichtbemerktwerdens monströse Gewächse von Verachtung und Welthass. Carmen Herrera aber soll dabei gelacht haben: glücklich, prustend, als habe sich das Schicksal einen außerordentlich gelungenen Scherz mit ihr erlaubt.

          Aber ist es wirklich ein Scherz? Oder ein Zufall? Oder nicht vielleicht doch eine Gemeinheit? Natürlich gibt es in der Kunstgeschichte kein Recht auf Anerkennung, schon gar nicht ein einklagbares. Aber trotzdem ist die Geschichte von Carmen Herrera keineswegs so zufällig, wie es auf den ersten Blick scheint - weder dass sie erst übersehen wurde noch dass sie jetzt entdeckt wird. Insofern müssen zwei Geschichten erzählt werden: Die erste kann man allem Anachronismus zum Trotz ruhig mal eine Gemeinheit nennen, die andere eine späte Genugtuung.

          Was ist schief gelaufen?

          Fangen wir mit der ersten an: Sie beginnt am 31. Mai 1915 in Havanna, als Carmen Herrera als Tochter zweier Journalisten zur Welt kommt. Carmen wächst in einem hochgebildeten Elternhaus auf, früh erhält sie Zeichenunterricht und wird mit fünfzehn für ein Jahr zur Ausbildung nach Paris geschickt. Nach dem Abitur studiert sie Architektur in der kubanischen Hauptstadt, lernt ihren Mann Jesse Loewenthal kennen, einen deutschstämmigen Amerikaner, mit dem sie 1939 nach New York zieht. Herrera besucht die Art Students League, sie schließt Freundschaft mit dem kubanischen Maler und Grafiker Wifredo Lam und auch mit Barnett Newman. Es sind die späten vierziger Jahre, die Zeit also, als sich der „Abstrakte Expressionismus“ formiert.

          Beste Bedingungen, könnte man meinen, Carmen Herrera ist mitten im Zentrum, sie findet etwa zur gleichen Zeit zur Abstraktion, als sich der Kunstkritiker Clement Greenberg gerade anschickt, Europa zu erklären, warum die neue Hoffnung der Malerei aus Amerika kommt und eben Jackson Pollock heißt. Was läuft also schief? Wenn man die Geschichte nicht nur als einen Wirrwarr von Zufällen betrachtet, dann muss man feststellen, dass Herrera mindestens zwei Fehler unterlaufen: Erstens, sie verlässt New York, das nun zur weltweit wichtigsten Kunststadt aufsteigt, und kehrt erst 1963 wieder zurück, nach Aufenthalten in Paris und Havanna. Zweitens, sie ist eine Frau.

          Am Bauhaus orientiert

          Mit Frauen aber tat sich die amerikanische Avantgarde schwer. Malerinnen wie Joan Mitchell oder Lee Krasner standen lange im Schatten ihrer Kollegen, die zwar gern von Freiheit und Konventionsbruch redeten, selbst aber ein traditionell exklusiver Herrenclub blieben. Herrera ist noch dazu nicht einmal Amerikanerin - eine Einwanderin, deren Abstraktion sich deutlich an der europäischen Moderne und der Tradition des Bauhauses orientiert.

          Und genau das hilft ihr nun bei ihrer späten Entdeckung: Die Kunstgeschichte ist gegenwärtig im Umbruch, und das Programm, das die Direktorin Britta Buhlmann in Kaiserslautern verfolgt, zeigt dies auf schönste Weise. Die fünfundfünfzig Werke von Herrera fügen sich in eine kontinuierliche Ausstellungspolitik: Seit Mitte der neunziger Jahre wurde hier die amerikanische Moderne immer wieder ausgestellt, 2001 konzentrierte sich eine Schau auf die Malerinnen des Abstrakten Expressionismus. Gleichzeitig wurden international zahlreiche lateinamerikanische Künstler aus der Versenkung geholt, darunter die Brasilianerinnen Lygia Pape und Lygia Clark. Die Kunstgeschichte ist damit nicht nur weniger männlich und amerikanisch geworden: Raum hat nun auch eine stärker architektonisch ausgerichtete Nachkriegsmoderne erhalten, die nüchterner und lebensweltlicher ist als das metaphysische Pathos der Amerikaner.

          Ihre Bilder spielen mit dem Betrachter

          1948 schuf Herrera „The City“, eine Komposition aus architektonisch anmutenden Elementen, geordnet zu einem Oval und gemalt auf einer Leinendecke, die Kutschpferde in Paris trugen, damit das Geschirr weniger scheuerte. Herrera arbeitet mit einfachen Materialien und hat stets die Vereinfachung gesucht. Ihre Bilder scheinen auf den ersten Blick häufig klar wie Straßenschilder oder Flaggen, sie sind mal rund, mal rautenförmig, oder sie haben Auslässe, durch die man auf die Wand blickt. Wer ein wenig länger hinsieht, entdeckt, dass sie meistens ein Spiel mit dem Betrachter treiben, dass die geometrischen Figuren in der Perspektive springen, sich zuerst flach stellen und dann wieder räumlich werden. Herreras Bilder sind von den sechziger Jahren an auf dem Weg zur Skulptur, einem Genre, das sie tatsächlich kurz darauf in Angriff nimmt. „Untitled“ von 1971 ist ein signalblauer Raumteiler mit einer abgewinkelten Fläche - fast schon auf dem Weg zum Haus.

          Dass sie, die ja selbst Architektur studierte, das wiedererwachende Interesse an dieser architektonisch orientierten Abstraktion miterleben kann, verdankt Herrera ihrem unverwüstlich optimistischen Naturell. 1998 stellte sie das auf lateinamerikanische Kunst spezialisierte „Museo del Barrio“ in New York zum ersten Mal aus. 2005 kaufte das Museum of Modern Art ein Werk und zeigte es in der ständigen Sammlung. Von da an folgten weitere Schauen in New York und Birmingham - begleitet von jubelnden Rezensionen.

          Von Herrera hört man, sie sei erleichtert. 2001 wollte sie nämlich bereits die Hälfte ihres Werks vernichten - nicht aus Wut, sondern einfach aus Platzgründen. Jetzt aber kann sie es einfach verkaufen.

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