Expressionismus am Folkwang : Die Wunden, die der Kunst geschlagen wurden
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Egon Schieles „Selbstbildnis mit gesenktem Kopf“, 1912 Bild: Leopold Museum, Wien
Eine Recherche zum Jubiläum, nicht nur in eigener Sache: Die Ausstellung „Expressionisten am Folkwang“ in Essen versammelt Kunstwerke, die im Nationalsozialismus geraubt und verkauft wurden – zu oft beschämenden Preisen.
Hat es jemals einen Kunstraub gegeben, der von seinen Tätern mit mehr Akribie dokumentiert wurde? Es ging um sechzehntausend Kunstwerke, fein säuberlich aufgelistet in zwei unscheinbaren Typoskripten, auf denen unter anderem der Name des Künstlers, der Titel des Kunstwerks, der Ort seines Raubs sowie sein weiteres Schicksal festgehalten wurden: „V“ steht für Verkauf, „T“ für Tausch“, „X“ für Vernichtung. Allein aus dem Essener Museum Folkwang, das 1922 aus der zunächst in Hagen beheimateten Sammlung von Karl Ernst Osthaus hervorgegangen war, verzeichnet die Inventarliste der Nationalsozialisten 1273 Kunstwerken, die als „entartet“ gebrandmarkt wurden, um sie beschlagnahmen und verkaufen zu können. Wohl kein anderes Museum hatte unter dieser Art der Devisenbeschaffungsmaßnahme unter dem Deckmantel einer kulturpolitischen Säuberungsmaßnahme stärker zu leiden als das Essener Haus, das sich der Moderne und zumal dem Expressionismus verschrieben hatte.
Heckel, Kirchner, Paula Modersohn-Becker, Munch oder Kokoschka, sie alle standen in persönlichem Kontakt mit Osthaus, der sich als Sammler und Museumsgründer rasch einen Namen gemacht hatte. Bereits 1906 hatte Heckel das Folkwangmuseum in einem Brief als „moderne und für uns mustergültige Einrichtung“ bezeichnet und als Ausstellungsort für die im Jahr zuvor begründete Künstlervereinigung „Die Brücke“ ins Auge gefasst. Auf Heckels Vorschlag, der „Brücke“ als passives Mitglied beizutreten, ging Osthaus nicht ein, doch 1907 und 1910 fanden zwei Gemeinschaftsausstellungen der Brücke-Künstler in Hagen statt. Als dann Henry van de Velde, der für Osthaus als Architekt, aber auch als wichtiger Berater aktiv war, 1912 das zehnjährige Jubiläum des Hagener Museums mit einer „Ehrengabe“ für Osthaus begehen wollte, beteiligten sich schon mehr als fünfzig Künstler bereitwillig mit eigenen Arbeiten an der Mappe, darunter Pechstein, Nolde, Schmidt-Rottluff, Kirchner, Kandinsky, Franz Marc und August Macke.
Das „beste moderne Museum“
Osthaus, der früh die französischen Vorläufer der deutschen Expressionisten für sich entdeckt hatte und sich entschieden für sie einsetzte, kaufte nicht nur mal kleinere, mal größere Arbeiten an, sondern suchte aktiv die Nähe der Künstler, indem er sie anschrieb, in ihren Ateliers besuchte, ihre Entwicklung aufmerksam verfolgte. Das Lob Egon Schieles, das Folkwang sei „das beste moderne Museum“, galt vor allem seinem Begründer.
Osthaus war kein Zauderer. Im Sommer 1910 sah er eine Ausstellung von Oskar Kokoschka bei Paul Cassirer in Berlin, im Dezember desselben Jahres war das Folkwang das erste Museum überhaupt, das ein Werk dieses Künstlers erwarb. Dabei setzte Osthaus sich nicht nur für lebende Künstler ein. Als erster deutscher Museumsdirektor kaufte er Werke van Goghs, und 1913, sechs Jahre nach ihrem Tod, ließ er eine Ausstellung mit (überwiegend verkäuflichen) Werken von Paula Modersohn-Becker ausrichten, die anschließend an vier weiteren Orten gezeigt wurde. Er selbst erwarb das berühmte „Selbstbildnis mit Kamelienzweig“, das noch heute zum Bestand des Folkwang gehört, sowie fünf Zeichnungen. Die Künstlerin selbst hatte das Folkwang zwei Jahre vor ihrem Tod besucht und berichtete darüber in einem Brief: „Das Schönste war für mich in Hagen das Museum eines Herrn Osthaus. Der hat die neuste Kunst um sich versammelt: Rodin, Minne, Maillol, Gauguin, van Gogh, einen alten Trübner, einen alten Renoir und viel anders Schönes“.