Kunstgeschichte : Aby Warburg erkennt den lieben Gott im Detail
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Aby zwischen Max (l.) und Paul Warburg beim Parkspaziergang Bild: Ullstein
Aby Warburg war ein Mann der Bilder. Doch auch die Schriften des Kunsthistorikers sind eine Fundgrube für Sprüche und Wortschöpfungen.
Aby Warburg war ein Mann der Bilder. Das zeigen allein schon sein Bilderatlas „Mnemosyne“ und dessen Wirkungsgeschichte. Inzwischen gilt der 1866 in Hamburg geborene Kunsthistoriker sogar als methodisches Vorbild für alle erdenklichen Bildanalysen und Bildvergleiche. Doch Warburg war mindestens ebenso sehr ein Mann des Wortes, wenn nicht gar ein Wortkünstler. Zwar musste er um jeden publikationsreifen Satz ringen, doch ebenso vermochte er einprägsame Formulierungen aus dem Hut zu zaubern. Dabei galten ihm Sprachwitz und Ironie als wichtige Waffen im Kampf gegen die eigenen Dämonen und gegen die „Dunkelmänner“ der Geistesgeschichte. Auch der Sarkasmus, sich selbst wie auch seiner Umwelt gegenüber, war ihm keineswegs fremd. Bezeichnend hierfür ist der Begriff „Aalsuppenstil“, mit dem Warburg seine schwerfällige Sprache charakterisierte. Ebenso kritisch sah er das intellektuelle Leben seiner Heimatstadt, das er als „das Aufrülpsen zwischen zwei Aalsuppen“ bezeichnete.
Die in kunstgeschichtlichen Seminaren anwesenden „höheren Töchter“ Hamburgs schockierte er mit der Behauptung, die buntbemalten Hochzeitstruhen der Renaissance seien „Sarkophage der freien Liebe“. Den „kommerziellen Typen“, Bankiers und Kaufleuten also, attestiert er ein „gewinnsüchtiges“ Lächeln. Die Sammlung von Gipsabgüssen antiker Skulpturen in der Hamburger Kunsthalle taufte er ironisch „Götterklein“. Über die diversen Reformbewegungen seiner Umgebung spottete er, sie sorgten für „koffeinfreien Kaffee, femininfreie Frauen und edukationsfreie Erziehung“.
Etliche Aussprüche Warburgs thematisieren die Konflikte zwischen seiner jüdischen Herkunft und seiner nichtjüdischen Umgebung. So reflektiert er über seine Abhängigkeit vom Geld der Familie mit einer biblisch intonierten Ironisierung seiner eigenen Privilegien: „Ich hätte ein brüllender Löwe in der Wüste Juda werden sollen; statt dessen bin ich ein kapitalistisches Schosshündchen in Harvestehude geworden.“ Im „brüllenden Löwe“ erkennt man unschwer den Wunsch seiner Großmutter, ihr Enkel möge Rabbiner werden. Aby jedoch begann gegen den erbitterten Widerstand seiner Familie ein Studium der Kunstgeschichte.
Die Möglichkeiten zwischen den Extremen
Nicht ohne Konflikte verlief auch seine Heirat mit Mary Hertz. Die war zwar Tochter eines Hamburger Senators und damit standesgemäß, aber Christin. Entsprechend bezeichnete Aby die gemeinsamen Kinder als „zebräisch“ (wie „Halbblutpferde“) und als „Halbblutmenschen“. Gleichwohl verteidigte er seine jüdischen Wurzeln schlagfertig, indem er den Antisemiten seiner Tage entgegnete: „Als eure Vorfahren noch das Beefsteak auf ihren Pferden gar ritten, konnten meine schon lesen und schreiben.“ Juden, die sich aus rein opportunistischen Gründen taufen ließen, etikettierte er als „Mimichristen“.
Bezeichnend für den kreativen Umgang Warburgs mit Sprache sind seine bildhaften Prägungen und kühnen Wortschöpfungen. Zur Charakterisierung seiner Pflegekraft Lydia verschmilzt er beispielsweise die Wörter „Schwester“ und „Hexe“ zu „Schwexe“. Die mit einem Fruchtkorb in den Raum eilende Dienerin in Ghirlandaios „Geburt Johannes des Täufers“ wird zur „Heilbringitte“. Mutig postuliert er mit Blick auf die eng am historischen Material arbeitenden Kollegen einen absoluten Primat seiner eigenen, ideengeleiteten Methodik, auch wenn das am Ende zu falschen Ergebnissen führen sollte: „Ich will lieber mit den Adlern irren, als mit den Würmern Recht haben.“ Andererseits kanzelt er die mit allzu kühnen Bildervergleichen operierenden Kollegen aus den Nachbardisziplinen als „eilig Reisende im Gebiete der Bildvergleichung“ ab. Einmal mehr zeigt sich Warburg da als Extremist des Denkens in Gegensatzpaaren und als Offenbarer eigener Widersprüche.
Denn etliche Bildvergleiche seines „Mnemosyne“-Projekts könnte man, nüchtern betrachtet und gemessen an seinen eigenen Ansprüchen, durchaus als kühn und als „eilig“ bezeichnen. Und angesichts der Alternative „Adler oder Wurm“ (und Löwe oder Schoßhündchen) darf man fragen: Gibt es zwischen diesen Extremen nicht vielleicht doch eine Reihe weiterer Möglichkeiten?
Die Frage nach dem Schöpfer des „lieben Gottes im Detail“
Wie dem auch sei, keine Wissenschaft ist ohne Widerspruch möglich, kein kreatives Denken ohne Inkonsequenzen fruchtbar. In der Tat hat Warburg trotz dieser Widersprüche das Anspruchsniveau seiner wissenschaftlichen Praxis denkbar hoch angesetzt, und er hat es in einem prägnanten Motto bildhaft zum Ausdruck gebracht: „Der liebe Gott steckt im Detail.“ Wohl keiner anderen Maxime des zwanzigsten Jahrhunderts war eine vergleichbare Karriere beschieden; ihre Geschichte ist schnell erzählt: Max Warburg hat sie unmittelbar nach dem Tod seines Bruders Aby in eine Sammlung ähnlich prägnanter Äußerungen aufgenommen. Ernst Robert Curtius erwähnt das Motto in seiner Rede anlässlich der Beisetzung Warburgs im Oktober 1929 und später in seinem einflussreichen Werk „Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter“. Carl Georg Heise überliefert den Spruch in den 1947 erstmals publizierten „Erinnerungen“ an seinen Hamburger Freund und Lehrer. Für weite Verbreitung des Ausspruchs sorgen später Erwin Panofsky sowie Ernst Gombrich in seiner Warburg-Biographie aus dem Jahr 1970.
Doch die gesamte Überlieferung bis dahin basierte auf mündlicher Tradierung. Erst Dieter Wuttke gelingt 1979 der Nachweis, dass Warburg den lieben Gott im Detail am 25.November 1925 als Motto zu einem Seminar notierte, das am Beispiel eines Truhenbildes die Bedeutung der Antike für den Stilwandel in der italienischen Renaissance zu ergründen suchte. Der mit einem detailverliebten Gemälde geschmückte „Cassone“ befindet sich heute im Besitz der Yale University. Max Warburg war überzeugt davon, dass das Seminar-Motto seines älteren Bruders direkt auf ein Diktum Gustave Flauberts zurückgehe. Diese Annahme ist oft wiederholt, doch niemals zwingend belegt worden. Daher wurden andere Autoren als Quelle ins Spiel gebracht, darunter Baruch Spinoza, Wilhelm Dilthey, Gottfried Wilhelm Leibniz und schließlich Hermann Usener, einer der frühen Lehrer Warburgs. Doch bis heute war nicht zweifelsfrei geklärt, ob Warburg den „lieben Gott im Detail“ eigenständig erfunden oder direkt aus einer anderen Quelle übernommen hat.
Gewissheit verschaffen nun zwei Briefwechsel Warburgs, der eine mit Moses Gaster vom Januar 1925 und der andere mit Johannes Geffcken vom Januar 1926. Gaster war von der „Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg“ um Hilfe bei einer kniffligen Frage hebräischer Philologie und Epigraphik gebeten worden: In diesem Zusammenhang formuliert Warburg erstmals das berühmte Motto. Ein Jahr später zitiert er es erneut in seiner Korrespondenz, auch dort mit Blick auf philologische Fragen. Tatsächlich ist ein großer Teil des langen Briefes an Geffcken ein Loblied auf die Philologie. Auch seine eigene enge Verbundenheit mit dieser Wissenschaft thematisiert Warburg ausführlich. Schließlich kommt er auf eben sein Seminar-Motto zu sprechen: Das „Beispiel der großen deutschen Philologen, besonders Useners“, habe ihn zur Formulierung der „Maxime“ geführt „Der liebe Gott steckt im Detail“.
Warburgs methodische Orientierung an der Philologie kommt nicht überraschend, denn er selbst betont bereits 1897 in seinen autobiographischen Aufzeichnungen, wie wichtig das „philologische Ethos“ für seine Wissenschaft gewesen sei. Interessanter ist eigentlich der Umstand, dass Gott hier plötzlich ins Spiel kommt und nicht der Teufel, der ja ebenfalls sprichwörtlich und schon viel länger im Detail steckt. Letztlich offenbart sich in dieser unvermittelten Kontemplation Gottes die metaphysische Grundierung von Aby Warburgs Denken. Den Teufel oder andere Dämonen jedenfalls hatte er sich immer vom Leibe zu halten versucht, in Worten ebenso wie in Bildern.