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Huldigung an das Quadrat : Dort im Reinen und im Rechten

Die Quadratbilder von Josef Albers stellen uns vor eine Welt, die gerade angelegt ist und deshalb explodiert und zerfließt: In Bottrop, der Geburtsstadt des Malers, wird mit der klassischen Serie ein Museumsanbau eingeweiht.

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          Was ein Quadrat ist, weiß jedes Kind: eine Figur aus vier geraden Linien, die gleich lang sind und im gleichen Winkel zueinander stehen. Ein Quadrat wird gezeichnet, und das ist eine einfache Übung. Wenn man eine Linie hat, ergibt sich alles andere. Eins, zwei, drei, vier: Das Bauprinzip des Quadrats ist die immanente Se­rienproduktion. Die Bilderreihe „Homage to the Square“ von Josef Albers übersetzt diesen Bildaufbau in ein Programm potenziell unendlicher Wiederholung. Zwar variiert die Zahl der Quadrate, die Albers in den Huldigungsbildern ineinander schachtelt, im schmalen Spektrum von drei bis vier, doch abgesehen davon hat man auf jedem Bild dasselbe vor sich. Mehr als zweitausend Einzelstücke um­fasste die Serie, als Albers 1976 starb. Ein Vierteljahrhundert lang hatte er daran gearbeitet. Mehr als hundert davon hängen jetzt in der Sonderausstellung, mit der das Albers gewidmete Museum in seiner Geburtsstadt Bottrop, welches das Quadrat im Namen führt, seinen Erweiterungsbau einweiht.

          Patrick Bahners
          Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.

          Nicht erst in der Reproduktion des Konzepts liegt ein Moment der Überschussproduktion, der kontrollierten Verausgabung. Schon jedes einzelne Bild bietet un­ermesslich viel mehr, als der Name der Serie ankündigt. Es handelt sich nicht um Zeichnungen, sondern um Gemälde. Das Quadrat ist ein Sinnbild der Vollständigkeit, lückenloser, übersichtlicher Be­stimmtheit, die nichts zu wünschen übrig lässt. Die Definition der geometrischen Fi­gur namens Quadrat ist nicht unvollständig. Aber in der Alltagssprache wird die Schulbuchdefinition von einer anderen De­finition überlagert. Ein Quadrat nennen wir auch die von den vier gleichlangen, rechtwinklig angeordneten Linien ein­geschlossene Fläche. Die Lebendigkeit der Bilder von Albers fließt aus dem Spannungsverhältnis der beiden Definitionen.

          Wie von Geisterhand gezeichnet

          Der eine geometrische Sachverhalt nimmt in zwei gleichzeitig präsenten Phänomenen Gestalt an. Da ist der Umriss oder das Schema, die Zeichnung im Bild. Die Linien entstehen dadurch, dass die Farbkanten aneinanderstoßen. Man sieht keine Bleistiftspuren: Die Quadrate sind wie von Geisterhand gezeichnet. Umgekehrt ist da aber auch das Bild in der Zeichnung beziehungsweise eine Folge übereinandergestapelter Bilder, die ihren jeweiligen Rahmen zu sprengen drohen. Die optischen Effekte sind oft beschrieben worden, und bei jeder Begegnung mit einem Gemälde aus der Serie können sie von Neuem begeistern. Die Flächen drängen hinaus über die Umrisskonstruktion, überschwemmen oder unterlaufen die Linien, verschmelzen mit den Nachbarflächen, um wieder auseinanderzutreten, aber nicht fein säuberlich, sondern in Bewegungen eines Vor und Zurück wie Auf und Ab, die instabile Übergangszonen des Aufleuchtens und Abklingens von Mischtönen erzeugen und im Auge Flecken hinterlassen. Das sind Wirkungen der Farbe, die Albers so gleichmäßig wie möglich aufträgt, mit quasi industrieller Präzision, um den Anblick eines erhabenen Naturprozesses hervorzurufen, das Spektakel der spontanen Genese einer sich ausdifferenzierenden Schöpfung.

          Die Quadratform ist die gleichbleibende Bedingung des Wirkungszaubers, aber das Farbenspiel bringt auch Qualitäten der Fi­gur zum Vorschein. Ihr malerisches Potenzial aktiviert Empfindungen, die als Anlagen mit den Mustern der Wahrnehmung gegeben sind, sozusagen als Werkseinstellungen unseres optischen Apparats. Das Quadrat, als Liniengebilde oder Fläche be­trachtet, weckt gegensätzliche Assoziationen. Die gezeichnete Figur wird vom Prinzip der Egalität regiert und verspricht vielleicht sogar eine gleichmäßige und da­durch gerechte Welt. Der von den Linien eingeschlossenen Fläche korrespondiert dagegen ein unendlich viel größeres ausgeschlossenes Feld. So gesehen herrscht ein unaufhebbares Ungleichgewicht. Der Betrachter der Albers-Quadrate erlebt, dass sein Blick von der Mitte an­gezogen wird. Konzentration wird durch den Eindruck ungeheurer Intensität belohnt. Ein heiliger Bezirk schneidet sich heraus, ein Reich der Tiefe tut sich auf. Bald aber meldet sich ein schlechtes Gewissen: Die ausgeblendeten Zonen sind in Aufruhr, machen sich zuckend bemerkbar.

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