Architekturpreis : Vergesst mir den Bauherrn nicht
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In die richtige Richtung: das Landratsamt Starnberg hat in diesem Jahr den DAM-Preis erhalten. Damit wurde der behutsame Weiterbau eines Gebäudes aus den Achtzigerjahren gewürdigt, das sich in jeder Hinsicht bewährt hat. Bild: Aldo Amoretti
Das Deutsche Architekturmuseum zeigt die 26 besten aktuellen Bauten aus Deutschland. Mögen die Kriterien auch modisch ausfallen, die Finalisten überzeugen.
Die Präsentation hatte etwas von Erntedank: Äpfel, Birnen, Pflaumen und Nüsse habe man sich angeschaut und miteinander verglichen, um dann die beste Frucht auszuwählen. So sprach Peter Cachola Schmal. Der Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM) mit Sitz in Frankfurt hatte sich offenbar vorgenommen, möglicher Kritik an den unscharfen Auswahlkriterien für die wichtigste von seinem Haus zu vergebende Auszeichnung zuvorzukommen.
Gut hundert Nominierungen für den DAM-Preis hatte es gegeben, und es waren Gebäude jeglicher Kategorie, Bauart und Architekturhaltung darunter: Theater, Schulen, Bürogebäude, Wohnhäuser, sogar eine Autobahnraststätte. Es standen Neubauten und Sanierungsprojekte, aber auch Um- und Erweiterungsbauten zur Auswahl; Klinker, Sichtbeton, Glas, Holz – kein Fassadenmaterial fehlte. Die Bauten hatten nur gemeinsam, dass sie zwischen Ende 2020 und Frühjahr 2022 fertiggestellt wurden.
Was nun aber für die Jury den Ausschlag bei der vergleichenden Bewertung von Äpfeln und Nüssen gegeben habe, verriet Schmal erst auf Nachfrage: „Entscheidend ist, was derzeit das Thema ist.“ Es ging also darum, praktische Relevanz nach der vorherrschenden Aufgabenstellung und auch der Mode der Zeit zu leben. An der Auswahl der fünf Finalisten lässt sich denn auch gut ablesen, was die dreizehn Architekturkritiker und Architekten in der Jury für wichtige Bauaufgaben unserer Zeit halten und welche Form von Bewältigung ihnen gefällt.
Den Sieg errang der Weiterbau eines Verwaltungsbaus. U-Bahn-Stationen, ein umgebautes Bürogebäude aus den Siebzigerjahren, die Umnutzung einer Scheune zu einer Art Dorfgemeinschaftshaus und ein Theaterbau hatten sich auch Hoffnung auf die Auszeichnung machen dürfen. Merke: Kulturbauten und solche, die dem öffentlichen Nahverkehr dienen, dürfen noch ganz neu errichtet werden; in den anderen Kategorien ist preiswürdig, wer die Bewahrung von möglichst viel Bausubstanz in den Mittelpunkt stellt, was derzeit als besonders nachhaltig gilt.
Nun befindet sich, wer dem Zeitgeist folgt, nicht automatisch auf dem Holzweg. Im Fall des Landratsamts von Starnberg, das zum Sieger gekürt wurde, kommen ästhetische und ökologische Nachhaltigkeit vielmehr aufs Schönste zur Deckung. 1982 hatten Fritz Auer und Carlo Weber den Wettbewerb mit einem Entwurf gewonnen, der die gewaltige Baumasse geschickt in einem vielfach gestaffelten, zweigeschossigen Bau verteilt und starke Anleihen an japanischer Architektur nimmt.
Auch weil sich der Bau unter den Mitarbeitern großer Akzeptanz erfreut, entschloss sich der Landkreis, mit der notwendigen Erweiterung um ein Drittel am Bewährten anzuknüpfen. Beauftragt wurde wiederum das Büro Auer Weber, das längst unter jüngerer Führung steht. Die nächste Generation hatte die Größe, den Anbau bis zu Ununterscheidbarkeit zu gestalten, anstatt mit der begrifflichen Allzweckwaffe vom „Kontrast“ zwischen Alt und Neu zu argumentieren. Wie sich überhaupt eine Abkehr vom vordergründig Spektakulären bemerkbar macht.
Wachsendes Nord-Süd-Gefälle
Wie sich in der Ausstellung der sechsundzwanzig Bauten der Shortlist, die das DAM zeigt, entnehmen lässt, verfestigt sich ein weiterer Trend: Es gibt in Deutschland ein wachsendes Nord-Süd-Gefälle, was die Architekturqualität angeht. Etwa die Hälfte der Gebäude, die in die engere Auswahl gekommen waren, steht in Bayern und Baden-Württemberg. Und zum dritten Mal in Folge kommt der Sieger aus München und Umgebung. Die Erklärung sieht Schmal im Wettbewerbswesen, das in den beiden Bundesländern besonders stark gepflegt werde.
Diese Beobachtung ist plausibel, aber es wäre interessant zu untersuchen, welche weiteren Kräfte wirken. Eine Rolle könnte spielen, dass die öffentliche Hand im Süden und Südwesten mehr Geld hat, um nicht nur in Wettbewerbe, sondern auch in die Verwirklichung ihrer Ergebnisse und damit in anspruchsvolle Gestaltung zu investieren. Auch die Bedeutung einer leistungsfähigen staatlichen und kommunalen Verwaltung wäre in den Blick zu nehmen. Am Beispiel des grandiosen Münchner Volkstheaters von LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei, das zu den Finalisten zählte, lässt sich all das bestätigen.
In diesem Fall kam aber noch etwas hinzu, das sich nicht aus regionalen Strukturen erklären lässt. Es lohnt sich, den Blick auf die Bedeutung einzelner Akteure zu richten, was in den Debatten über Architekturqualität mitunter aus dem Blick gerät. Volkstheater-Intendant Christian Stückl, ein sensibler Kraftmensch, ging in der Rolle des Bauherrn auf, und er fand im oberschwäbischen Bauunternehmen Georg Reisch einen Partner, der sich nicht nur dem ökonomischen Kalkül, sondern auch der Baukultur verpflichtet fühlt.
Vielleicht ist südlich des Mains auch die Anteilnahme der Bürgerschaft am Erscheinungsbild ihrer Städte ausgeprägter. Auf diese Idee könnte man angesichts des unterirdischen Streckenabschnitts der Stadtbahn in Karlsruhe kommen. Es wurden 1996 und 2002 gleich zwei Bürgerentscheide über das Projekt abgehalten. Die Gestaltung der sieben Tunnelstationen durch das Münchner Büro allmannwappner ist atemberaubend gut gelungen, nicht zuletzt dank des Lichtkonzepts von Ingo Maurer. Wer die entweder heruntergekommenen oder überdesignten U-Bahn-Stationen in anderen deutschen Städten vor Augen hat, wird staunend bemerken, welche lichte Klarheit auch möglich ist.
DAM-Preis 2023. Die 26 besten Bauten in/aus Deutschland. Deutsches Architekturmuseum, bis zum 1. Mai. Das Begleitbuch kostet 38 Euro.