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Der weibliche Nazarener : Sie ist wieder da!

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Konstanz zeigt ihr Werk, der Alten Nationalgalerie wurde eines ihrer Gemälde geschenkt, Martin Walser schreibt über sie: Endlich wird die Malerin Marie Ellenrieder wiederentdeckt.

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          Was für ein Gemälde, was für eine Szene. Geschaffen wurde dieses Bild 1854, vor gut einhundertfünfzig Jahren also, dabei sieht es aus, als käme es aus der Zukunft, fast wie Science-Fiction. Die „Pilgerin“, so der Titel, könnte direkt aus der Kino-Trilogie „Star Wars“ ins Museum gewandert sein, sie hat die Würde und Nonchalance einer Padmé Amidala, der Königin von Naboo und späteren Mutter von Luke Skywalker, die in der Geschichte als Dienerin verkleidet umherzieht und in der Verfilmung von Natalie Portman gespielt wird. Der Engel passt natürlich nicht dazu, in „Star Wars“ gibt es keine geflügelten Himmelsboten.

          Andererseits: In der christlichen Ikonographie gibt es auch keine Frauen, die alleine pilgern. Dass sie nicht gemalt wurden, heißt natürlich nicht, dass es sie nicht gab, im Gegenteil. Zur Zeit der Kreuzzüge machten sie sich nach Palästina auf, sie begingen den Jacobsweg, die Via Francigena nach Rom oder bestiegen den Berg Zion. Festgehalten im Bild wurden allerdings vornehmlich Märtyrerinnen, Heilige, Bekehrte und die Mutter Gottes natürlich, die auch wandert - aber eben nicht alleine, sondern zusammen mit Joseph und dem kleinen Jesuskind.

          In diesem Bild ist alles anders: Wir sehen eine Frau, die einen Pilgerstab in der linken Hand hält, vor ihr ein Engel, im Hintergrund ziehen Wolken vorbei, ein Bäumchen lehnt sich in den Wind. Das Kopftuch und der Kaftan verraten, in welche Gegend das Bild den Betrachter versetzen soll. Und dann die nächste Überraschung: In Kleinasien wird süddeutsch gesprochen, „Entscheidung für Gott seine heiligen Gebote“ steht oben auf der Seite des Buches, das der Engel der Pilgerin hinhält, samt Tintenfässchen. Es gibt hier goldene Buchstaben, aber keinen Genitiv. Ungerührt trägt sich die Pilgerin ein, sie gleicht einem Star, der ein Autogramm gibt. Auch das hat etwas Außerirdisches.

          Wer hat sich das ausgedacht? Der Name der Künstlerin lautet Marie Ellenrieder, geboren wurde sie im März 1791 als vierte und jüngste Tochter des fürstbischöflichen Hofuhrmachers Johann Konrad Ellenrieder in Konstanz. Bei einigen wird jetzt vielleicht ein Glöckchen klingeln, weil einem der Name bekannt vorkommt. Tatsächlich hat Martin Walser gerade über eines von Ellenrieders Selbstporträts geschrieben, das in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe hängt und nun Teil der Ausstellung „Unter vier Augen“ ist.

          Wer außerdem in diesen Tagen Berlin besucht und vor der Hitze in die kühlen Räume der Alten Nationalgalerie flieht, der kann inzwischen auch hier im dritten Ausstellungsgeschoss auf eine Ellenrieder treffen, das Spätwerk mit dem Titel „Taufe der Lydia“ von 1861. Die schöne Geschichte dazu geht so: Das Gemälde stammt aus der Sammlung Fred Lichts, des renommierten Kunsthistorikers und Kurators der Peggy Guggenheim Stiftung. Seine verstorbene Frau Majorie Licht soll den Kauf einst entschieden habe, ihr Herz hing sehr daran, und als Fred Licht sah, wie gut sich das Bild in der Nationalgalerie behauptete, machte er es Anfang Juli spontan dem Haus zum Geschenk. Ehrenhafter, impulsiver kann Mäzenatentum nicht sein.

          Den größten Auftritt verschafft der Künstlerin gerade die Stadt Konstanz mit einer Retrospektive anlässlich ihres 150. Todestages. „Die Pilgerin“ ist dort zu sehen, aber auch zahlreiche weitere großformatige Gemälde wie „Maria mit Kind im Rosenbogen“ oder „Maria mit dem Jesusknaben an der Hand“. Dazu kommen viele Porträts, die neben den kirchlichen Aufträgen Marie Ellenrieder das Einkommen sicherten, darunter das hinreißende Bildnis des jungen Grafen von Langenstein. Ebenfalls zu sehen sind das zeichnerische Werk und die umfassenden Vorarbeiten auf Karton. Im Katalog beleuchten Kunsthistoriker ihr Schaffen, wozu auch die Tagebücher in der Bibliotheca Hertziana in Rom und am Kunsthistorischen Institut in Florenz ausgewertet wurden.

          Die Nazarener als jugendliche Reaktionäre

          Was muss man über Marie Ellenrieder wissen? Marie Ellenrieder wird zum Umfeld der Nazarener gezählt, einer deutschen Künstlerbewegung, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Rom eine Kolonie gründete. Auch Ellenrieder bereiste Italien, sie war damals Anfang dreißig und studierte die Meister der Renaissance, vor allem die Werke Raffaels. Mit Nazarenern wie Friedrich Overbeck teilt sie den Schmelz einer Malweise, die keine Spuren hinterlassen will.

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