Markus Lüpertz wird achtzig : Er steht als Einzelner vor der Welt
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Eine Stilrichtung für sich: Markus Lüpertz steht quer zu dem Moden im Kunstbetrieb. Bild: dpa
Beckmann und Picasso sind für ihn ebenso künstlerische Vorbilder wie Michelangelo und Rodin: Der Maler und Bildhauer Markus Lüpertz hat sich nie an modischen Strömungen orientiert.
Die avantgardistische Norm ist schlicht: gesellschaftliche Neuerungen. Aber was ist mit denen, die sich dieser Direktive verweigern, den Bohemiens, die ihr Heil in künstlerischen Zielen suchen, im zu lebenden Künstlerleben, im „immer wieder“ Peter Handkes? Zwar gibt es heute eine digitale Bohème, im Kunstbetrieb aber herrscht Avantgardeakademismus.
Was geschieht nun mit den Zeugnissen derjenigen, die der Kunst des Malens, Zeichnens oder Bildhauerns als überzeitlicher Kulturtechnik frönen? Was mit denen, die mit dem Füller schreiben, um aufzuzeichnen, die notieren, um Musik zu fixieren, die Ovids Metamorphosen und die Bibel lesen, um die Themen ihrer Malerei in Relation zu ihren Ahnen zu stellen? Und was ist mit jenen, die Ideen über Einfälle stellen, die Form und Farbe zelebrieren, um der Malerei zu huldigen wie die heilige Cecilia der Musik? Mit jemandem, der Beckmann, Picasso, Klinger, die Zeichnungen Kirchners, Puvis de Chavannes und Michelangelo liebt, dem Rodin und Lehmbruck das Herz höherschlagen lassen?
Mythen, arkadische Landschaften - und immer wieder der Stahlhelm
Markus Lüpertz, im Jahre 1941 im böhmischen Liberec geboren, scheint aus der Zeit gefallen. Seine Kunst zu sehen heißt immer noch: über Kunst sinnieren. Die Postmoderne hatte für diese Denkungsart noch einen Sockel. Die Retroavantgarde hingegen hat sogar die Sprache für das Schreiben über sie verloren. Boulevard und Betriebsmainstream haben obsiegt. Das Gerede über Ringe und Gehstöcke hat Poesie, Prosa über Bildlichkeit und ästhetische Evidenzkriterien der Kritik verdrängt.
Dabei sind es unser Sehen fordernde Exkursionen, sich der Peinture zu öffnen, mit denen Lüpertz mythologische Motive, arkadische Landschaften oder auch immer wieder den Stahlhelm malerisch vergegenwärtigt. Keine stilistische Maniera, kein mediales Konzept, kein erkennbares Signet, kein bildfernes Autorenmaterial überstrahlen ihre individuelle Faktur. Und ihr Duktus verhindert immer Illusion. Markus Lüpertz malt mit „Verfremdungseffekt“ im Sinne Bertolt Brechts, wie Werner Hofmann einmal bemerkte.
Auch mit visuellem Tastsinn sich in das plastische Vokabular des Malerbildhauers zu verlieren gebiert Gewinn. Dem literarisch überlieferten Herkules, Uranos, Leda, Daphne, Atlas, Bacchus oder dem eigentlich scheuen David verleiht er Statur. Unter ihren betörenden Farbhäuten fiebert immer eine zerrissene Seele. Und es sind die unmittelbaren Strichführungen, die seine Zeichnungen dominieren; seine Vorliebe für das von Künstlerhand Verantwortete, mit denen er seine Bühnen zu Bildern entwirft; jedem Trend ferne Zeilen, die seine Gedichte über simple Urteile heben. Die letzten großen Ausstellungen in Paris, Leipzig, Washington und München bezeugten dies, seine Zeitschrift „Frau und Hund“ und seine Künstlerbücher bringen es in die Bibliotheken.
Von den Medien geliebt wird der eloquente Disputant, der wortgewaltig in clair und obscur scheidet – sich aber auch schon mal mit Falschen einlässt. Jenseits dieses Lichtkegels bleibt er der Einzelne vor der Welt: vor der weißen Leinwand, dem Gestell für die Plastik, der Maueröffnung für ein Glasfenster. Mit der Idee für ein Werk ist er immer allein – wie David vor seiner übermächtigen Herausforderung.
Mit seinen Schöpfungen war Markus Lüpertz oft nur der Zweite. Doch sie begründen immer schon ein zukünftiges Jenseits. Schier unerschöpfliche Schaffenskraft für stets neu zu Ergründendes ist ihm eigen. Sie verhindert, dass sich Abgeschlossenheit oder gar Finalität wie Tau über ein Œuvre legen, das dereinst schon Spätwerk sein wird. Sein Autor, der am morgigen 25. April sein achtzigstes Lebensjahr vollenden wird, ist noch lange nicht alt.