Moore-Ausstellung in Florenz : Wo nichts geschah und alles passierte
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Bullig: Seit 1968 diente ein Elefantenschädel im Studio Moores als Modell unter anderem für „Forest Elephants“ (1977) Bild: Michel Muller
Einst landeten Schenkungen des Bildhauers hier unter parkenden Autos. Jetzt feiert Florenz Henry Moore und zeigt, was der Bildhauer während seiner vielen Aufenthalte in der Stadt lernte.
Henry Moore hatte immer ein besonderes Verhältnis zu Florenz. Er muss also außer sich gewesen sein, als er 1985 das Foto sah. Da stand sein „Krieger mit Schild“, diese Heroismus und Tragödie inkarnierende Figur eines zum Torso verstümmelten Mannes, der trotz Verletzungen weiterkämpft, in einem Innenhof des Palazzo Vecchio zwischen geparkten Autos. Der Künstler hatte das Werk der Stadt als Schenkung überlassen.
Es war im Jahr 1972, kurz nach der größten Retrospektive, die es jemals über den Künstler gab und die Florenz ihm im Forte Belvedere ausgerichtet hatte. Der Bürgermeister nahm die Bronze mit großer Geste entgegen – aber eigentlich wusste niemand, wohin damit. Schließlich landete sie im dritten Hof des Palazzo Vecchio, dort, wo das Standesamt residiert. Die Florentiner nannten sie bald spöttisch „Denkmal für den unbekannten (oder abwesenden) Beamten“.
Die Schenkungsvereinbarung hatte einen prestigeträchtigen Standort vorgesehen. Moore forderte die Figur zurück, die Stadt war blamiert und das gute Verhältnis zerrüttet. „Florenz betrügt Moore“ titelte eine italienische Zeitung. Was Henry Moore künstlerisch und emotional mit der Stadt verband, ist nun erstmals Thema einer sehenswerten Ausstellung im Museo Novecento in Florenz. Die Kuratoren wollen in zweifacher Hinsicht eine Gegenerzählung zum Gängigen schaffen: In „Henry Moore in Toscana“ erinnern sie an die vielen glücklichen Sommer, die Moore vor dem Skulptur-Drama in Italien verbrachte, und ehren im selben Gebäude den Bildhauer mit „Henry Moore. Il disegno dello scultore“ als empathischen Zeichner.
Ein grauer Riese diente als Inspiration
Den Auftakt macht dort ein Elefantenschädel. Weiß, alt und mächtig ruht er wie ein Totem auf einem Podest in der Raummitte. An den Wänden hängen Zeichnungen von dem Schädel, als evokative Formen erzählen sie vom Leben und dem Verstreichen der Zeit. Moore hat den Knochen studiert, jede Windung, jeden Schatten, seine Oberfläche. Der Schädel wurde ihm 1968 von Julian Huxley, dem Sekretär der Zoological Society of London, geschenkt. Moore nahm ihn in sein Atelier, zu seinen Muscheln und Steinen, die er an Stränden und rund um sein Haus in Hertfordshire gefunden hatte und von denen er sich inspirieren ließ.
Für ihn war das Zeichnen ein Mittel, um intensiver zu sehen und Skulpturen zu entwickeln. Er sah darin aber auch eine eigenständige Kunst. Berühmt sind seine „Shelter Drawings“; Zeichnungen von Menschen, die Schutz vor den deutschen Bomben in der Londoner U-Bahn suchten. Die Kuratoren Sergio Risaliti vom Museum Novecento und Sebastiano Barassi von der Henry-Moore-Stiftung zeigen hingegen die Serie, in der Moore seine gealterten Hände zeichnete. Die eindringlichen Bilder entstanden Anfang der achtziger Jahre, als er keine Skulpturen mehr anfertigen konnte, und geben mehr preis, als ein Porträt seines Gesichtes es wahrscheinlich könnte.
Mal ineinander verschränkt, mal einander haltend oder die Linien der anderen nachzeichnend, scheinen die Hände gemeinsam nachzuspüren, was sie in all den Jahren berührt, geschaffen, zerstört haben. Mit welcher Demut diese Hände ihrem Arbeitsmaterial begegneten, sieht man in den zeitgenössischen Dokumentarfilmen: Moore berührt einen Stein oder eine Skulptur und es wirkt, als fühle er ein atmendes, lebendiges Wesen. Auch in den Fotos, auf denen er mit Werkzeug bewaffnet in den Steinbrüchen des Monte Altissimo steht, ist dieses Ethos erkennbar: Moore wirkt eher wie ein staunender Naturforscher und weniger wie ein Bildhauer, der dem Steinbruch Marmor abringen will. Die Bilder gehören zu der Ausstellung „Henry Moore in Toscana“, die im zweiten Stock des mittelalterlichen Klosterbaus eingerichtet ist. Sie zeigt Kleinplastiken und Skizzen und ist mit zeitgenössischen Dokumenten und Fotografien eine Reise in die sechziger bis achtziger Jahre, in denen Moore sich während seiner Arbeits- und Urlaubsaufenthalte ein enges Beziehungsnetz in der Toskana aufbaute.