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Anselm Kiefer zum Siebzigsten : Arbeit am Mythos

  • -Aktualisiert am

Anselm Kiefer ist einer der erfolgreichsten deutschen Künstler der Gegenwart. In seinen Gemälden und Skulpturen erforscht er die Tiefenstrukturen der Geschichte. An diesem Sonntag wird er siebzig.

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          Der deutsche Maler und Plastiker Anselm Kiefer hat fast sämtliche Ehrungen erhalten, die einem Künstler zuteil werden können: Im Jahr 1980 vertrat er – zusammen mit Georg Baselitz – die Bundesrepublik Deutschland auf der Biennale in Venedig, bereits 1990 wurde er zum Ehrenmitglied der American Academy and Institute of Arts and Letters ernannt, fünfzehn Jahre später zum Träger des Ordre des Arts et des Lettres, es folgten der Goslarer Kaiserring und der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

          Der Preis des Börsenvereins überraschte Kiefer selbst. Er sei, so Kiefer, immer der Meinung gewesen, „dass nur Schriftsteller, Politiker, Historiker und Intellektuelle ihn bekämen“. Als einen politischen Künstler jedoch versteht sich der in Donaueschingen Geborene nach eigenen Angaben nicht.

          Politische Kontroversen begleiten dennoch sein Werk: Bekannt wurde er, der bei Horst Antes und bei Joseph Beuys studierte, früh durch die Serien „Besetzungen“ und „Heroische Sinnbilder“ von 1969/70. Im Gegensatz zu seinen deutschen Künstlerkollegen Gerhard Richter oder Georg Baselitz, die in Gemälden die Vätergeneration auf die Leinwand brachten, stellte sich Kiefer selbst in den Mittelpunkt. Richter malte fünf Jahre zuvor „Onkel Rudi“, Baselitz fast gleichzeitig die „Heldenbilder“, in denen die Kriegsheimkehrer wie Zombies auf den Betrachter zuwankten. Kiefer nun zeigte sich – den Arm zum Hitlergruß erhoben – vor wechselnden Landschaften in der Schweiz, Frankreich und Italien. Die eigene Person erscheint in diesen Bildern klein, ungelenk, bärtig, das Stramm-Militärische liegt ihr fern. Wie Kiefer später betonte, seien diese Aktionen ein „Akt der Selbstfindung“ gewesen. Er habe sich gefragt: „Was hätte ich damals gemacht?“ Wie weit das Historienspiel ging, führte Kiefers Vater 2003 in dem Buch „In Kriegs- und Friedenszeiten“ aus: Demnach war er es, der seinem Sohn die Reitstiefel und den Militärmantel für die Aktion gab. Er hatte sie im Zweiten Weltkrieg getragen.

          Glauben an die Wiederkehr der Geschichte

          In den Folgejahren malte Kiefer verbrannte Erde, Städte in Flammen und zerstörte Gebäude, er schuf außerdem bleierne Buchskulpturen. In seinen Arbeiten verschmilzt er dabei die unterschiedlichsten Materialien – und häufig ebenso unterschiedliche Ereignisse in der Geschichte, wie etwa solche aus der Antike und dem Nationalsozialismus. Wie Botho Strauß, der Schriftsteller, der zur gleichen Generation wie Kiefer zählt, glaubt jedoch der Künstler, dass sich die Geschichte wiederhole und damit die Struktur von Mythen teile. Auschwitz, sagte Kiefer im Gespräch mit dieser Zeitung, sei demnach die Wiederkehr der „absoluten Greueltat“.

          Mit den Auszeichnungen hat auch die Größe und Schwere von Kiefers Werken zugenommen: Zusätzlich zu seinem Pariser Atelier eröffnete er daher vor einigen Jahren ein zweites in einer riesigen Lagerhalle in Croissy-Beaubourg, im Osten von Paris. Sein Galerist Thaddaeus Ropac bezog 2012, um die Arbeiten zeigen zu können, im Pariser Vorort Pantin eine alte Kesselfabrik mit zwölf Meter Deckenhöhe und rund zweitausend Quadratmeter Ausstellungsfläche. Ende März eröffnet eine Schau in Ropacs Salzburger Stammsitz. An diesem Sonntag wird Kiefer siebzig Jahre alt.

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