Museum Folkwang in Essen : Wir sind gewissermaßen Kolumbus
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Ein Saal des Essener Folkwang. Rechts neben einer Rodin-Plastik hängt das „Stillleben mit Affodilen“ von Henri Matisse. Bild: dpa
Das Museum Folkwang in Essen bringt unter seinem neuen Direktor neue Ordnung in seine Sammlung. Die neuen Welten, die es verheißt, sind ganz so neu nicht.
Es verblüfft, im Museum einem Ereignis zu begegnen, von dem man gerade erst in der Zeitung gelesen hat. Der Brand von Notre-Dame, liest man in Essen auf einer Wandtafel der neuen Sammlungspräsentation des Museums Folkwang, habe gezeigt, dass Kirchen und Kathedralen bis in unsere Zeit Symbolcharakter besäßen.
Peter Gorschlüter, der Direktor des Hauses, versteht das Museum nicht als Gegenwelt zur Aktualität. Wie er im Radio sagte, möchte er es aus dem Blick der Gegenwart begreifen und neu denken. Er hat denn auch keine Zeit verloren, als er am 1. Juli vergangenen Jahres die Nachfolge von Tobia Bezzola antrat, der Essen nach nur fünf Jahren, vor Vertragsende, verlassen hatte. In zwölf Monaten hat Gorschlüter eine Neugestaltung der Dauerausstellung vorgenommen – ein Arbeitstempo, das man nur panisch nennen kann. Um zu demonstrieren, dass er das Tempo halten möchte, hat er den Begriff der Dauerausstellung aus dem Sprachgebrauch seiner Organisation gestrichen. Die neue, programmatisch provisorische Hängung der ständigen Sammlung ist dem Publikum am Wochenende präsentiert worden.
Das Neue ist die Ersetzung der chronologischen durch eine thematische Ordnung. 24 Säle wurden nach je einem Hauptwerk der Sammlung benannt, um welches Werke aus verschiedenen Epochen und Gattungen gruppiert sind. Mit dem namengebenden Hauptstück haben sie ein Motiv gemeinsam oder auch das Formproblem, das sie zu lösen versuchen. Einige Themen sind speziell, andere sehr allgemein. Die Abwechslung wirkt lebendig.
Denkmal für ein Denkmal
Der Hinweis auf Notre-Dame erfolgt apropos des „Denkmals für Tatlin“ des Lichtbildhauers Dan Flavin. Auf fast allen Gemälden dieser Sektion sind Kirchtürme zu sehen. Flavins senkrechte Neonröhren sind das Denkmal eines Denkmals, die abstrakte Wiederholung eines Werks, das nur als Modell existierte, des von Wladimir Tatlin entworfenen „Monuments für die Dritte Internationale“. Dass Flavin auch eine Art Chiffre der Gotik gebastelt hat, der Baukunst, die ihre Türme dem Himmelslicht anverwandelte, dem sie entgegenstrebten, sieht man durch den Vergleich mit den gemalten Kirchenansichten auf einen Blick.
Und man muss fast nichts wissen, um es zu sehen: Das ist die zwanglose Lektion einer provisorischen Kunstgeschichte für jedermann, die sich auf offenkundige Formähnlichkeiten einen Reim zu machen versucht. Rechts außen in der um das „Denkmal für Tatlin“ versammelten Reihe hängt der „Pont des Arts“ von Paul Signac mit Notre-Dame am rechten Bildrand. Links folgt das Essener Beispiel aus Claude Monets Serie über die Kathedrale von Rouen, mit welcher der Maler die Arbeit der Baumeister fortsetzte, die Auflösung der durchbrochenen Fassade. Die Bilder hängen über Eck: Genutzt werden zwei Arme des Umgangs eines der Atriumhöfe. Diskret stellt sich die Assoziation eines Kreuzgangs her.
Es zeigt sich, dass David Chipperfields Erweiterung von 2010 dem Neubau der Nachkriegszeit zur Wirkung verhilft. Als eines der zweckdienlich schönsten Bauwerke Westdeutschlands rühmte Albert Schulze Vellinghausen an dieser Stelle 1958 den Bau von Werner Kreutzberger und Horst Loy, den Architekten des Städtischen Hochbauamtes. Und so dient er jetzt vollkommen seinem Zweck, die Konzentration auf Kunstwerke zu ermöglichen. Gorschlüter gibt den Werken an und vor den hellgrauen Wänden sehr viel Licht, Luft und Raum.
Klassischer als gedacht
Von der Form her ist die Präsentation in fast allen Sälen überzeugend – doch damit ist zugleich gesagt, dass sie viel klassischer ist als alles, was man nach den Ankündigungen erwarten durfte. Bei allem Verständnis dafür, dass Institutionen Werbung machen müssen und man Interesse weckt, indem man Neues verspricht: Die Reklame ist irreführend.