Chinesische Kunst in Berlin : Wir lassen das mal offen
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Gibt es jenseits von Ai Weiwei eine freie Kunst in China? Die Berliner Ausstellung „Die Acht der Wege - Kunst in Beijing“ will sie zeigen. Aber warum eröffnet sie der chinesische Botschafter?
Der Künstler Ai Weiwei war gestürzt, er lag mit dem Gesicht zum Boden, vielleicht war er tot. Neben ihm stand ein Herr und knabberte an einem Salatblatt, ein anderer hielt eine Kellnerin am Arm fest; ob er ein Bier bekommen könne? Eine Frau schob einen Shrimp, der ihr von der Gabel gefallen war, mit der Spitze ihres Schuhs an die Wand, jemand verlangte mit schriller Stimme Champagner.
Die Freiheit der Kunst, hatte Bürgermeister Wowereit eine halbe Stunde vorher erklärt und auf den toten Ai Weiwei gedeutet, müsse für alle Künstler gelten, danach hatte der chinesische Botschafter in Deutschland, Shi Mingde, in allerbestem Deutsch eine gutgelaunte Ansprache gehalten.
Interpretatorische Doppelverglasungen
Es war die Ausstellungseröffnung der Schau „Die Acht der Wege – Kunst in Bejing“, und der tote Ai Weiwei war eine lebensgroße Puppe, ein Werk des Künstlers He Xianyu. An die Ausstellung hatten sich viele Erwartungen geknüpft, denn tatsächlich ist es, wenn im Westen von chinesischer Gegenwartskunst geredet wird, vor allem Ai Weiwei, den man zu sehen bekommt. Die Ausstellung in den Berliner Uferhallen versprach endlich auch einmal die anderen Künstler zu zeigen, die in Peking unter schwierigen ökonomischen und politischen Bedingungen Kunst machen. Aber kann eine Ausstellung, die vom chinesischen Botschafter eröffnet und vom Autohersteller BMW, dessen Zukunft vom chinesischen Markt abhängt, gefördert wird, wirklich alles zeigen, was es in China an renitenter, scharfsichtiger Kunst gibt?
Die Kuratoren – die Chinesin Guo Xiaoyan, Thomas Eller, ehemals Leiter der „temporären Kunsthalle“ in Berlin, und Andreas Schmid, der China seit den achtziger Jahren kennt – schwören Stein und Bein, dass sie alle Werke, die sie zeigen wollten, auch die, „bei denen es Diskussionen gab“ (sprich: die die chinesische Seite nicht unbedingt in der Ausstellung sehen wollte), schließlich auch hätten zeigen können.
Einen Film etwa, in dem die Künstler Sun Yuan und Peng Yu ein gefälschtes, lächerlich großes Polizeiauto durch die Stadt steuern. Bei vielen der gezeigten Arbeiten dürften längere Verhandlungen aber auch nicht nötig gewesen sein: Die Arbeit „Nothing!“ von 2002, in der eine Kamera in Löcher hinein- und wieder herausrast, wirkt wie ein grotesker Reflex auf Amerikas Suche nach Usama Bin Ladin. Der Künstler He Xiangyu ließ Wanderarbeiter über 18 Monate angeblich 120 Tonnen Coca-Cola einkochen, in Berlin sieht man giftige, klebrige Brocken, die wie Lavagestein oder giftige Korallen aussehen – eine Form von Kritik an Kapitalismus und westlichen Ernährungsformen, gegen die weder in China noch in Deutschland jemand etwas haben kann.
Aber der naturalistisch nachgebildete, tote Ai Weiwei desselben Künstlers? Auch hier gibt es eine interpretatorische Doppelverglasung. Das Werk heißt nicht „Der Tod des Ai“, sondern, in Anspielung auf Jacques-Louis Davids gleichnamiges Gemälde von 1793, „Der Tod des Marat“. Nur: Marat war eben nicht nur Revolutionär und Idol, sondern auch Unruhestifter und Agitator, der eine Mitverantwortung für die Septembermassaker 1792 trägt. Je nachdem, wie man Marats Rolle sieht, ist die Arbeit als Heroisierung oder Kritik an Ai lesbar.