
Vandalismus auf der Documenta : Brandsätze
- -Aktualisiert am
Tatort der Schmierereien: Außenansicht des WH 22, einem nach der Kasseler Werner-Hilpert-Straße 22 benannten Ausstellungsgebäude der Documenta 15. Bild: Nicolas Wefers
An einem der Austragungsorte der Documenta sind mutmaßlich politisch motivierte Schmierereien aufgetaucht. Die Organisatoren Ruangrupa reagieren mit Strafanzeige, der Kasseler Oberbürgermeister aber mit einem Rundumschlag gegen Kritiker.
Einen wesentlichen Teil unter den künstlerischen Beiträgen der am 18. Juni eröffnenden Documenta in Kassel bilden inzwischen ihre Pressemitteilungen. Jene vom Dienstagabend vermeldet, dass im Documenta-Haus WH22, in dem auch das seit Monaten mit Antisemitismusvorwürfen konfrontierte Kollektiv The Question of Funding ausstellt, eingebrochen und unter anderem die Schmierereien „187“ und „PERALTA“ hinterlassen wurden. Die Ziffern verwiesen, so heißt es, „vermutlich auf den California Penal Code bei Mord“, das „PERALTA“ könne als Anspielung auf den Namen der Leiterin einer rechtsextremen Jugendorganisation in Spanien gelten.
Das Documenta-Kollektiv Ruangrupa hat Strafanzeige gestellt und betrachtet die Taten als „Angriff auf uns alle, die lumbung member“. In amerikanischen Medien wurden daraus unverzüglich „Bedrohungen palästinensischer Künstler in Deutschland“. Selbstverständlich sind Einbruch und Schmierereien strafwürdig.
Dann aber wird in der Pressemitteilung die Reaktion des Kasseler Oberbürgermeisters Christian Geselle zitiert: „Diskussionen rund um die documenta fifteen zu führen ist das eine, Künstlerinnen und Künstler durch Straftaten einschüchtern zu wollen, geht jedoch weit über das Tragbare hinaus und beschädigt das Bild der Stadt Kassel als Ort der Kunstfreiheit.“ Auch dem wird niemand widersprechen.
Doch unmittelbar darauf folgt ein ungeheuerlicher Satz: „Hier sollten sich alle Beteiligten ihrer Verantwortung bewusst werden und für das gemeinsame Miteinander eintreten.“ So, wie es da steht, bezieht sich „alle Beteiligten“ auf die im vorhergehenden Satz inkriminierten Straftaten. Will Geselle tatsächlich bedrohliche Schmierer mit jenen in einen Topf werfen, die an einer Debatte interessiert sind? Sind die aus begründetem Anlass Diskutierenden der meisten deutschen Zeitungen demnach als geistige Brandstifter direkt mitschuldig an den Schmierereien, haben sie vielleicht sogar das Kasseler WH22 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion selbst beschmutzt, um ihre laut Geselle ihrer „Verantwortung“ offenbar nicht „bewusste“ Kritik zu verstärken?
Antisemitismus-Beauftragte hat sich eingeschaltet
Die vom Oberbürgermeister in Anschlag gebrachte Kollektivhaftung zielt in letzter Konsequenz auch auf die Bundesregierung und insbesondere Staatsministerin Claudia Roth, von der die Documenta finanziert wird. Hatte doch Felix Klein, seines Zeichens Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, zu Beginn dieser Woche hochoffiziell verkündet, es dränge sich die Annahme auf, israelische Künstler würden seitens der Documenta boykottiert. Durch den Relativismus, mit dem unter anderem Ruangrupa auch BDS-nahe Positionen auf der Documenta dulde, werde „der Antisemitismus auf ziemlich selbstgerechte Weise gleich mit relativiert“, hat der deutsch-jüdische Künstler Leon Kahane geschrieben. Diese Selbstgerechtigkeit setzt sich in der Reaktion auf die Schmierereien fort.