https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/bochum-adolf-luthers-optische-werke-18646718.html

Luthers Werke in Bochum : Wer hier raucht, hat mehr vom Licht

  • -Aktualisiert am

Pastoses Masserelief aus Kreide, Öl und Pigmenten: Adolf Luthers „Materiebild (schwarz/rot)“, 1958-60 Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Kühle Bildschleier vor opulenten Gläserwänden: Das Bochumer Museum unter Tage zeigt Adolf Luthers Spiegelobjekte und Teile seiner Sammlung.

          3 Min.

          Auf den Abstand kommt es an. Der Kritiker Georg Jappe taxierte ihn 1969 in dieser Zeitung auf „gut einen Meter“, dann stelle sich der „Bildschleier vor der Gläserwand“ ein, eine Raumerfahrung gleich einer „Fata Morgana“, schrieb der Rezensent über eine Ausstellung von Adolf Luther in Leverkusen und kam zu dem Resümee: „In sich selbst sich spiegelnd, stellt das Licht sich selbst dar.

          Metaphysik? Optik? Metaoptik?“ So philosophisch ging Feuilleton damals. Nicht nur das. Angesichts einer Installation mit Lichtstrahlen, die von der Decke senkrecht auf zahlreiche Hohlspiegel am Boden herabfallen, hatte der Chronist eine Empfehlung parat, die heute nicht mehr durchginge: „Wer hier raucht, hat mehr vom Licht.“

          Im Bochumer Museum unter Tage entfaltet der „Fokussierende Raum“ von 1968 auch für Besucher ohne Zigarette seine ätherische Wirkung. Tatsächlich eröffnen viele von Luthers Spiegelobjekten beim Hinschauen in der rechten Distanz einen sphärischen Raum, der die Wahrnehmung gleich einem Hologramm umfängt. Die Erscheinung ist, mit einem heutigen Modewort gesprochen, unbedingt immersiv, sie verdankt sich der Krümmung von Spiegeln, die, quadratisch im Raster geordnet, wie Flutlichtstrahler in einem Fußballstadion aussehen.

          Klarheit, Transparenz, Reinheit wusste der gebürtige Krefelder Adolf Luther (1912 bis 1990) in seinen Objekten in unterschiedlichsten Tonlagen zu orchestrieren. Mit flachen und gewölbten Spiegeln in makellosen Glasbehältnissen schuf er Instrumente des Sehens in einem kühlen Rationalismus, diskreter Eleganz oder auch schwelgerischer Opulenz.

          Die Bochumer Ausstellung fächert die Facetten dieses Werks auf, von frühen massigen Farbspachtelungen, die die Farbe noch matt spiegeln, bis zu einem Raum mit mehreren schweren Bildobjekten samt einer frei stehenden „Sinuskurve“ – schon oft konnte man diesen Werken in den letzten Jahrzehnten begegnen, so harmonisch und schwerelos aber hat man sie im Verbund kaum gesehen. Der Raum badet in Wohlklang, bezeugt aber auch dies: Über einen retinalen Impressionismus kommt dieses Werk nicht hinaus.

          Futuristisch schon im Jahr 1970: Adolf Luthers „Laserraum“ mit einer kinetischen Plexiglasstele, einer Nebelmaschine und eben einem Rubinlaser
          Futuristisch schon im Jahr 1970: Adolf Luthers „Laserraum“ mit einer kinetischen Plexiglasstele, einer Nebelmaschine und eben einem Rubinlaser : Bild: Markus Wörgötter/VG Bild-Kunst, Bonn 2023

          Luthers Lebensweg ging vom Verwaltungsrichter zum Künstler

          Weniger bekannt, würdigt die Ausstellung die Sammlung Adolf Luthers. Der hielt in Kollegenkreisen zielgenau Ausschau nach neuen Bildbegriffen vom Nouveau Réalisme bis zur konkreten Kunst. Einer Auswahl der insgesamt achtzig Werke ist ein eigener, allerdings nicht eben inspirierender Saal vorbehalten, dicht an dicht gehängt. Vielversprechender wäre es gewesen, Luthers Erwerbungen mit seinen eigenen Arbeiten in Dialog zu bringen, selbst wenn das sein Œuvre relativiert hätte.

          François Morellet, Lucio Fontana oder Jan J. Schoonhoven haben mit weniger Aufwand und Apparat die Phänomene von Licht, Raum, Ordnung und Kontingenz einfacher und grundlegender ins Werk gesetzt. Interessant zu sehen, dass Luther selbst von einem Antipoden Joseph Beuys eine „Unterrichtstafel aus dem Büro für direkte Demokratie“ von 1971 erwarb – eine der wenigen, auf der Beuys farbige Kreide verwendete.

          Zum dreißigjährigen Bestehen hat die Krefelder Adolf-Luther-Stiftung 2021 eine kiloschwere Monographie aufgelegt, die den ganzen Luther vorstellig macht und plausibel darlegt, wie dieser Bildhauer spätere Künstlergenerationen anregte, so Anish Kapoor, Olafur Eliasson oder Angela Bulloch. Dem Buch ist auch die ungewöhnliche Karriere des Autodidakten zu entnehmen, die erst über den jungen Essener Stadtinspektor und den Verwaltungsrichter in Minden und Düsseldorf schließlich im Jahr 1957 zum Beruf Künstler führte.

          Luther kündigte den Staatsdienst. Dank umsichtiger ökonomischer Daseinsvorsorge konnte er sich das leisten und eine autonome künstlerische Existenz aufbauen, die ihn nicht nur über Wasser hielt, sondern zu einem der gefragtesten Künstler der alten Bundesrepublik machte, wenn Foyers und Konferenzräume in Instituten, Banken, Firmen mit moderner Kunst ausgestattet werden sollten.

          Glasbruch bringt künstlerisches Glück: Adolf Luthers „Lichtschleuse“ von 1964 aus Stahl, Aluminium und spiegelnden Brocken von Glas.
          Glasbruch bringt künstlerisches Glück: Adolf Luthers „Lichtschleuse“ von 1964 aus Stahl, Aluminium und spiegelnden Brocken von Glas. : Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2023

          Für die Zeitspanne von 1938 bis 1945 verzeichnet die Biographie nur wenige Daten, für 1943 den kargen Eintrag „Promotion in Bonn zum Dr. jur.“. Das kann als Information allein nicht genügen. Weitere Angaben zu jenen Jahren lauten „erste Aquarelle und Zeichnungen“ an der Westfront, „vertiefte künstlerische Studien“ auf den Kanalinseln, „Aktzeichnen in den Studios am Montparnasse“. Im Krieg hat Luther eher harmlose Impressionen gemalt, direkt danach aber Nachdenkliches auf die Leinwand gebracht wie eine „Selbstbesinnung“ von 1947. Auch davon hätte man in der Schau gern etwas gesehen.

          Adolf Luther – Licht. Werk und Sammlung. Museum unter Tage, Bochum, bis zum 10. April. Eine Künstler-Monographie aus dem Jahr 2021 im Hirmer Verlag kostet 68 Euro.

          Weitere Themen

          María Kodama gestorben

          Borges-Witwe : María Kodama gestorben

          Die argentinische Autorin und Übersetzerin María Kodama ist gestorben. Sie war die Witwe des Schriftstellers Jorge Luis Borges.

          Aus erzwungener Untersicht

          Zum Tod von Erwin Riess : Aus erzwungener Untersicht

          Witz und Biss waren seine Waffen im Kampf gegen die Arroganz gegenüber den Nöten von Behinderten: Mit dem Detektiv Groll schuf er eine erfolgreiche Krimireihe, deren Hauptfigur im Rollstuhl sitzt. Jetzt ist der österreichische Schriftsteller und Aktivist Erwin Riess gestorben.

          Topmeldungen

          Bundeskanzler Olaf Scholz (vorne) kommt, gefolgt von Wirtschaftsminister Habeck, Verkehrsminister Wissing, Justizminister Buschmann und Außenministerin Baerbock sowie Alexander Schiemann (hinten links), Stellvertreter Büroleiter des Kanzlers, und Regierungssprecher Steffen Hebestreit (hinten rechts) am Flughafen Berlin-Brandenburg zum Regierungsflugzeug, um zu den deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen in Rotterdam zu fliegen.

          Koalitionsausschuss vertagt : Ergebnislos durch die Nacht

          Die Spitzen der Bundesregierung kamen zusammen, um Lösungen für Streitthemen zu finden. Nach 19 Stunden lautet das Ergebnis: Kein Ergebnis, wir vertagen uns.
          Indra Nooyi

          Frühere Pepsico-Chefin : „Frauen haben ein Perfektionsgen“

          Indra Nooyi hat viele Jahre den amerikanischen Pepsico-Konzern geführt. Im Interview spricht sie über die Last der Verantwortung, Lektionen in Bescheidenheit – und ihre Ängste als Einwanderin.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.