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Berliner Kunstbiennale : Diese schönen Dinge, die keine Kunst sind

Die Berlin-Biennale für Kunst zieht in diesem Jahr ins Ethnologische Museum in den Westen der Hauptstadt um. Was sucht sie dort - und was findet sie?

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          Die Berliner Kulturpolitik leidet unter einem Arche-Noah-Komplex. Was es an wichtiger Kunst zu sehen gibt, soll auf die Museumsinsel gebracht werden, so als werde alles, was jenseits von ihr liegt, bald von einer Sintflut davongespült: Die Ethnologischen Sammlungen, die derzeit in einem wunderbaren Museum im Westen der Stadt gezeigt werden, sollen ins neue Stadtschloss, das gerade als monumentale Betonrekonstruktion in den Berliner Himmel wächst und darauf wartet, mit einem Fassadenmäntelchen in Nostalgie-Optik umhüllt zu werden. Die Gemäldegalerie soll, allen Nichtmachbarkeitsstudien zum Trotz, nun doch noch irgendwie vom Kulturforum an die Museumsinsel ziehen, und die Orte für Gegenwartskunst befinden sich ohnehin fast alle in Berlins Mitte - eine Konzentration, die vor allem den Touristenbussen entgegenkommt, die dann für „Kunst“ in Zukunft nur noch ein- bis zweimal halten müssen.

          Niklas Maak
          Redakteur im Feuilleton.

          Und so ist es eines der größten Verdienste des Kurators der achten Berlin-Biennale, Juan Gaitán, und seines Teams, dass sie die alle zwei Jahre stattfindende Kunstschau nicht wieder in Mitte und an ein paar zu Fuß erreichbaren Außenposten, sondern genau dort angesiedelt haben, wo demnächst alles abgeräumt werden soll: in Dahlem, im Westen der Stadt. Dorthin musste zu den Eröffnungstagen das verblüffte Berliner Kunstvolk reisen - Menschen, die das idyllische Einbahnstraßendickicht von Berlin Mitte oft jahrelang nicht verlassen und eher wissen, wie man von der Auguststraße nach Basel oder Sankt Moritz kommt, als dass sie den Weg zu den Dahlemer Sammlungen beschreiben könnten.

          Der ethnologische Bick

          Man sah sie mit vom Regen aufgeweichten Faltplänen und feuchten iPhones in den Berliner Villenvororten stehen, verzweifelt die wenigen sichtbaren Einheimischen ansprechend: Ist dies da jetzt das Asiatische Museum? Wie kommen wir zum Waldhaus? Das aber „Haus am Waldsee“ heißt, früher einer der wichtigsten Kunst-Orte West-Berlins war und ebenfalls einen Teil der Biennale beherbergt; sie wird diesmal zu einer selbst fast ethologischen Expedition in eine Kulturwelt, die bald zur Vergangenheit gehören wird.

          Der ethnologische Blick dominiert die Ausstellung auf mehreren Ebenen. Saâdane Afif hat einen Licht-und-Lautsprecher-Mast des Bahnhofs von Düren nachgebaut. „Ach-tung. Zug heute / ohne Halt / in Wattenscheid, ich wieder / hole“ schnarrt eine Stimme, und es wird einem bewusst, wie seltsam das Durchsagedeutsch, der komisch scheppernde Silbenfall, jemandem vorkommen muss, der es zum ersten Mal hört. Ein Porträt Deutschlands, seiner zu sehr aufgeräumten, kalten Atmosphäre, in wenigen Objekten? Bitte sehr: Lautsprecher, obsessives Flutlicht, serifenfreies, kaltsachliches Hinweisschild, Ordnung, klare Ansage, Zug hält nicht in der übergroßen Leere der Provinz.

          Ein paar Räume weiter hat Wolfgang Tillmans in einen Raum über Nordamerikas Indianer und die ersten Kontakte zu den Europäern verschiedene Gegenstände und Fotografien so kunstvoll eingefügt, dass immer neue Rückkopplungen zwischen den sehr subjektiven Aufnahmen und den repräsentativen Gegenständen der Sammlung entstehen: Ein Turnschuh erscheint wie ein uralter Fetisch, ein Bild zeigt einen aufgebrochenen Hummer so, als sei er selbst eine phantastische amerikanische Landschaft voller Bizarrheiten und Versprechen.

          Weniger Platz hätte ausgereicht

          Gegenüber tauchen neben Relikten indianischer Kultur Aufnahmen der mexikanischen Grenze und das im Flugzeug fotografierte Schild „Elbow Room“ auf, es entsteht ein eindringliches persönliches Porträt des heutigen Amerikas. Vieles wirkt wie Ethnologie mit umgekehrter Blickrichtung: Otobong Nkanga präsentiert das Mineral Glimmer, das in Kosmetika ebenso Verwendung findet wie bei Radaranlagen, und erzählt davon ausgehend die Geschichte einer neuen Kolonialisierung. Jimmy Robert aus Guadeloupe zeigt in einem Film, wie eine Dragqueen vor einem Bauwerk von Oscar Niemeyer so tanzt, als wolle sie die brasilianisch überhitzte Moderne noch heftiger in Bewegung setzen, Alberto Baraya entdeckte in Berlins Läden einen erstaunlichen Artenreichtum an Plastikblumen und präsentiert sie in Vitrinen wie Humboldtsche Funde.

          Baraya gehört zu den Entdeckungen, die Biennalen immer wieder sehenswert machen - was man leider nicht über alles in dieser Biennale sagen kann. Sie wäre eine kluge Schau über den umgekehrten ethnologischen Blick auf die Dinge unserer Gegenwart - wenn sie sich mit weniger Platz begnügt hätte. Weil aber Biennalen immer Massen an Kunst an vielen Standorten zeigen, musste noch mehr Kunst her, und an dieser Stelle taten sich die Kuratoren leider etwas schwer. Wobei verschärfend hinzukommt, dass in dem Maße, wie die Besucherzahlen steigen (mittlerweile besuchen mehr Menschen Museen als Fußballstadien), die Gegenwartskunst zunehmend selbstreferentieller und abweisender auftritt, wie ein beleidigter Eremit, der nicht gestört werden will. Ihre Fadheit kann einen ebenso ratlos machen wie ihre Ambition.

          Zu jeder Gegenwartskrise etwas im Kunstangebot

          Ein Haupterkennungsmerkmal für neue Kunst ist mittlerweile ihre Erklärungsbedürftigkeit und ihr Bemühen, als Rätsel zu erscheinen. Man sieht: einen verschleierten Marmorkopf. Information, die man haben muss: Dieser Kopf soll Mussolini darstellen. Ah ja! Aber warum... Im Haus am Waldsee dringt aus aufwendig im Garten eingegrabenen, riesenhaften Lautsprechern der Ruf eines Muezzins. Information, die man haben muss: Hier hören wir die von Atatürk erzwungene Übersetzung des arabischen Gebetsrufs ins Türkische. Information, die man darüber hinaus bekommt: Dieses Werk zeige, „wie sehr Religion, Sprache und Staat bis heute politisch aufs Engste miteinander verbunden sind“. Ob man für diese Erkenntnis die Lautsprecherskulptur braucht oder ob sie eher ein Beispiel für eine Kunst ist, die einem erfreuten Kunstmarkt zu jeder größeren Gegenwartskrise einen optisch opulenten Dekorationsgegenstand mit wertsteigerndem Criticality-Gehalt liefern kann, ist eine andere Frage.

          Mit der behaupteten erkenntnisstiftenden, den Blick für Stimmungen, Möglichkeiten und Gefahren der Gegenwart schärfenden Wirkung von Kunst ist es nämlich oft nicht weit her. Eine Arbeit von Li Xiaofei zeigt eine giftig blubbernde Flüssigkeit in einer chinesischen Fabrik. Angeblich dienen die Bilder dazu, Missstände „aufzudecken“ (Katalogtext), doch dafür tritt zu schnell der Salgado-Effekt ein: Mit ansprechendem Braunfilter und gut ausgeleuchteten Kontrasten sieht noch das schlimmste Flüchtlingscamp, die übelste Fabrik genauso ansprechend aus wie das Bild von den Tieren in der Savanne.

          Die Bedingungen dessen, was man sieht, verblassen vor dem ästhetischen Effekt; was als eine Kunst verkauft wird, die sich mit den ökonomischen Bedingungen von Gegenwart kritisch befasse, ist ihr genaues Gegenteil: der Versuch, die Bilder des globalen Elends so lange in die Saftpresse der Ästhetik zu stecken, bis sie erbauliche optische Effekte hergeben. Von einem kritischen Dokumentarfilm unterscheiden sich derartige Kunstfilme auch dadurch, dass sie die giftigen Dinge wenigstens schön und somit am Ende weniger schlimm aussehen lassen.

          In ihren schwächsten Partien ist die Biennale wie ein „Geo Saison“-Heft für den Kunstbetrieb: ein bisschen was aus China, aus Afrika und Indien. Oft reicht es den Künstlern, politisch aufgeladene Dinge (Porträt von Honnecker plus kubanische Hemden plus Weltraumkapseln) in einer assoziativen Bilder-Bouillabaisse zusammenzurühren. Andere begnügen sich damit, Muster, die sich auf ein unbekanntes botanisches Buch beziehen, mit Aquarellfarben aufs Papier zu tupfen, was man hübsch, zart oder auch sehr langweilig finden kann - und so war es eine doppelt weise Entscheidung, die Gegenwartskunst diesmal in Dahlem zu zeigen: Wenn sie einem nicht viel zu sagen hat, kann man sich immerhin über Inka-Gold und nigerianische Masken freuen.

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