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Foto-Ausstellung : Auf der Suche nach Gott

  • -Aktualisiert am

Das Verlangen nach Transzendenz in den Tagen der Einsamkeit: Dreizehn Studenten nähern sich in einer Berliner Foto-Ausstellung dem Glauben in der Pandemie.

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          Ein Riss geht durch das Bild. Auf dem Grund liegt Erde, es sieht aus wie eine Sandkiste, eine unbedeutende Momentaufnahme, wäre da nicht dieser Strahl, der mitten im Bild von oben nach unten verläuft. Der Riss ist gefüllt mit Licht, so zumindest wirkt die zweigeteilte Fotografie von Xiaofu Wang, der für seine Bilderserie zenbuddhistische „Koans“ gesammelt hat – geheimnisvolle Weisheiten zenbuddhistischer Meister, die zum vertieften Verständnis religiöser Praxis führen sollen. „Joshu’s Dog“ ist Xiaofus bildhafte Antwort auf das Koan, ob der Hund „die Buddha-Natur“ habe oder nicht.

          Doch man muss in dem Bild keinen rätselhaften Hund erkennen, um hier das Schlüsselsymbol zur Ausstellung zu finden, die derzeit unter dem Titel „Berlin, Gott und die Welt“ in der Berliner Guardini Galerie zu sehen ist: Es geht um eine Zweiteilung, ein Wechselspiel zwischen Frage und Antwort, ein Drinnen und Draußen, um die Beziehung zwischen Gott und Mensch, die der Theologe Paul Tillich – ohne dass er für diese Ausstellung herangezogen worden wäre – einmal als „Methode der Korrelation“ beschrieben hat. Demnach besteht eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen „Gott für uns“ und „Wir für Gott“. Jedes Bild spiegelt diese Korrelation auf unterschiedliche Weise.

          Dreizehn Studenten der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin präsentieren in einer gelungenen Auswahl der Kuratorin Frizzi Krella ihre Ideen. Es ist der dritte Teil ihres übergeordneten Projekts „Stadt und Religion“.

          Grenzen des Körpers

          Fast alle großen Religionen sind in dieser Schau vertreten, Menschen, Symbole, Gebäude. Es kommt zu bildhaften Begegnungen mit essentiellen Themen: Tod, Körper, Nichts, Licht. Manuel Lossau hat sterbenskranke Menschen im Hospiz besucht und sie auf ihrer letzten Station fotografiert. Darunter ist eine Frau zu sehen, die in lässiger Kleidung mit einer Zigarette in der Hand im Schneidersitz auf einem Schaukelstuhl sitzt. Erst bei näherer Betrachtung sieht man in ihrem Gesicht, wie ernst die Lage für sie ist. Manche der abgebildeten Menschen leben inzwischen nicht mehr.

          Von unbändiger Lebenskraft und natürlicher Diversität erzählen die Fotos von Massimiliano Corteselli, die nackte Körper zeigen. Dunkle, weiße, dicke, schlanke Menschen hocken und liegen da, sie stecken in ihren eigenen Körpern fest und vermitteln das Verlangen nach Transzendenz. Wer ist Gott für uns? Wer sind wir für Gott? Die Bilder liefern keine Antworten. Sie stellen Fragen.

          Es ist ein junger Blick auf die Stadt, der kulturelle und religiöse Pluralität nicht nur als fremdes Objekt abbildet, sondern selbst davon geprägt ist. Nicht jedes Foto stammt aus Berlin. Manche Aufnahmen verweisen auf die Herkunft der Fotografen, wie ein zerstörtes Gebäude in Nepal, das Dhan Fabbri im Wechselspiel mit Lichtelementen aus der Hauptstadt präsentiert. „Surya“, das nepalesische Wort für „Sonne“, nennt er diese Erinnerung.

          Eine Ermutigung in Bildern

          David Reemtsen erzählt von der Geschichte der Jesiden, die in der Diaspora in Berlin leben. Dafür verwendet er neben aktuellen Aufnahmen alte Familienbilder, die er bei seinen Besuchen von den jesidischen Familien bekommen hat. Sie stammen aus der Zeit vor dem Genozid im Nordirak 2014.

          Daneben stehen chiffrierte Bilder, die sich abseitig und auf Umwegen der Frage nach Gott nähern. Sebastian Stöhr erkundet mit dunklen Aufnahmen von Demonstranten, wie weit der Glaube an eine Sache gehen kann; Cecilia Gaeta begibt sich auf die Suche nach dem Selbst und zeigt in unvollständigen Perspektiven Menschen, die ihre eigene Spiritualität gefunden haben.

          Doch die Fotos dieser Schau sind nicht nur Kunst. Sie sind auch ein Dokument unserer Zeit. Denn fast alle Bilder spiegeln die Einsamkeit der Pandemie, die Sehnsucht nach Verbindungen und Begegnungen, die Suche nach Antworten im Glauben. Wo ist Gott, wenn wir verlassen sind? Die Fotos der Studenten sind eine Ermutigung, nicht aufzugeben und weiterzugehen.

          Berlin, Gott und die Welt. In der Guardini Galerie, Berlin; bis zum 29. Juni. Kein Katalog.

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